Komplexe Schuldfragen in Freiburg
In ihrer Adaption für das Theater im Marienbad löst Jana Vetten die Ich-Struktur der Vorlage auf und verwandelt sie in dialogische Situationen. Sie fokussiert auf die Beziehungen zwischen Mutter, ihrem neuen Liebhaber (den Tierarzt Thomas) und Sohn sowie auf das Dreieck von Edda, Daniel und Alina. Alina gibt sich als „Princess“, die alle auf sich wütend macht. Edda beobachtet sie in ihren Verhaltensweisen und zieht Daniel in diese Observation mit ein. Die Ereignisse überschlagen sich, als Pascal, der Bruder von Alina, nach einer Party von einem Auto überfahren wird. Der Fahrer begeht Unfallflucht. Die trauernde Alina wird offener, lässt sich auf Daniel ein und durchschaut ihn: Seine Anfälle „passieren“ nicht, sondern liegen in seiner Verantwortung.
Daniel, der auch auf dieser Party war, beschuldigt den Tierarzt der Täter zu sein. Er arbeitet dabei mit den gleichen Argumenten, die er den Anderen vorwirft: zu schweigen, statt zu fragen. Juliane Pickel arbeitete dabei ein sehr genaues Psychogramm der Figuren heraus, an das sich auch Jana Vetten in ihrer Fassung und in ihrer Regie hält: Es werden Verhaltensweisen vorgeführt. Es passiert, aber das „Warum“ bleibt offen. In der Inszenierung in Freiburg geben die Videos von Julius Lermer Hinweise: Sie zeigen den Vater, dargestellt von Öğünç Kardelen, als Deutschrocksänger – ein Traumvater, aber einer ohne Verantwortung. Das Erinnerungs-Video-Bild ist ein anderes, ein schönes, ein verführerisches.
Starkes Ensemble am Theater im Marienbad
„Krummer Hund“ ist eines der wenigen Stücken im Jugendtheater, das in seiner Handlung ganz auf eine psychologische Struktur setzt. Das Theater im Marienbad hat dafür ein starkes Ensemble. Wie Alduin Gazquez als Daniel feinnervig die Nachricht von Thomas, dass er in besoffenem Stadium in das Lenkrad eingegriffen hat, durch den Körper aufnimmt, der Kopf aber an seinem Glauben (Thomas als Täter) festhält, ist ein starker Moment. Lisa Bräuniger führt als Alina die Einsamkeit der coolen Princess vor, die sich nach Wärme sehnt. Julia-Sofia Schulze als Edda begreift, dass sie Daniel, der doch als Beobachter gegen die „Feindin“ Alina agieren soll, verliert. Was bei den jungen Menschen in diesem Beziehungsdreieck stattfindet, ist die Verwandlung von unschuldigen Kinderspielen in erste Berührungen. Das wird von den Dreien zart und genau ausgespielt.
Lena Drieschner ist die Mutter, die nicht versteht, dass sie in den ganzen Turbulenzen, nachdem der Rocksänger gegangen ist, nie wirklich auch an ihren Sohn gedacht hat. Sie ist laut und aggressiv und kann im nächsten Augenblick wieder ganz zärtlich sein. Meist in Form einer flüchtigen Berührung. Christoph Müller als Thomas versucht zu verstehen. Er mag die Mutter, er versucht aber auch den Sohn, der offensichtlich eine Vaterfigur braucht, für sich einzunehmen. Ob das gelingt, bleibt am Ende offen, wie vieles, was hier das junge und nicht mehr so junge Publikum bewegt. Ein ganz großes Plus dieser Inszenierung ist, dass sie viele Fragen aufwirft, aber keine Antworten gibt: Diese Menschen auf der Bühne sind wie sie sind.
Die Inszenierung von Jana Vetten verlässt sich ganz auf die Darsteller:innen. Lukas Kötz hat dazu eine Bühne geschaffen, die schnelle Verwandlungen zulässt. In der Mitte dominiert ein Vorhang, der verschoben werden kann. Auf diesen werden die Videos projiziert. Auf einer großen blauen Schräge kann Edda malen oder man tanzt auf der Party eine wilde Disco. Die Inszenierung von Vetten betont die Stärken dieses Ensembles. Kardelen hat dazu eine Musik komponiert, die die Stimmungen mit harten, aber auch mit zarten Rhythmen begleitet.