Foto: Katharina Kessler, Steffen Gangloff, Lisa Förster, Esra Schreier © Susanne Reichardt
Text:Martina Jacobi, am 26. April 2025
Als Gewinner:innen des letzten Autor*innenpreises des Heidelberger Stückemarktes eröffnet die Künstler:innengruppe Frankfurter Hauptschule die 42. Ausgabe des Festivals mit dem Stück „2×241 Titel doppelt so gut wie Martin Kippenberger“. Das Potpourri von Schlaglichtern aus Pop- und Hochkultur unterhält, aber bleibt ohne dramatische Zuspitzung.
„Wir brauchen den Mut, Dinge nicht zu verstehen“, sagt Dramatikerin Ulrike Syha, kuratorische Beraterin für das diesjährige Gastlandprogramm aus China des Heidelberger Stückemarkts bei der Eröffnung. Mit ihren Grußworten und denen von Intendant Holger Schultze sowie des künstlerischen Leiters Fabian Appelshäuser beginnt das Festival im Zwinger 1 des Theaters. Danach folgte die alljährliche Uraufführung und Inszenierungseröffnung mit dem Gewinnerstück des Autor*innenpreises aus dem letzten Jahr.
Diese Anerkennung gebührte in diesem Jahr der Künstler:innengruppe Frankfurter Hauptschule mit ihrem Text „2×241 Titel doppelt so gut wie Martin Kippenberger“. Der kryptische Titel verspricht genau das, was auf der Bühne passiert: keinen dramatischen Text, keine Handlung oder Figurenentwicklung, sondern 2×241 Titel, gesprochen oder projiziert auf die betongraue Rückwand der Bühne, beginnend mit 1. „Selbstmord, ein Versuch“ und 2. „Stalingrad, ein Wintermärchen“.
„Very german“
Entschlüsselt wird das alles mit dem titelgebenden gebürtigen Dortmunder Martin Kippenberger (1953-1997) und seinem 1986 veröffentlichten Buch „241 Bildtitel zum Ausleihen für Künstler“. Eine Kunstrichtung reichte nicht aus für den Traditionen abräumenden Maler, Installations-, Performancekünstler, Bildhauer und Fotografen, dessen Schaffen immer noch so heutig, provokativ und anregend ist. In seinem Werk steckt stets menschliche und Wirklichkeits-Ambivalenz und Absurdität und dem folgt die Frankfurter Hauptschule: Mit dem Potpourri der 2×241 Titel aus Popkultur, Kunstkanon und Hochkultur nimmt sie das Publikum sprachlich auf die Schippe und das auf die „very german“ Art und Weise, beispielsweise mit dem „Fluch der Akribik“ (Titel 24), passend dazu im Deutschlandflaggen-Gewand, fast schon huldigend ein Brot in den Händen haltend.
Mit mal rhythmischem, mal gedehntem Sprechen oder einfach Gebrabbel bekommt die Inszenierung von FX Mayr ihre Taktung. Das Darsteller:innen-Quartett (Lisa Förster, Steffen Gangloff, Katharina Kessler, Esra Schreier) performt die Titel abwechselnd oder chorisch, bewegt sich dazu in einer eingeübten Choreografie über die Bühne. Im Zentrum steht dabei immer: der Text. Und das, nämlich „Text!“, steht auch fett auf dem T-Shirt der Souffleuse Sara Eichhorn, die prominent mit im Rampenlicht sitzt und mit absoluter Komik Titel 178 als vertextlichten Bewunderungsausdruck – „oh my god, oh my gohahahod, Woooo, oooh, wooow, wooo, yeaah“ – und sinnlich überstimuliertem Höhepunkt performt. Eine gelungene Anspielung auf Social-Media-Kommunikation, wo Emotionen durch Schrift, Emoji, Meme und Reel Ausdruck finden.
Vollumfänglicher Anspruch
Dazu läuft im Hintergrund ein Verschnitt aus Dokuelementen, kriechen Keimlinge im Zeitraffer aus der Erde, schaut das Publikum in Zeitlupe einem Löwen in die Augen und immer wieder taucht das auch bei Kippenberger sich wiederholende Ei auf, ein Fruchtbarkeits- und Schutzsymbol. Hier aber wird es wieder und wieder aufs Neue zerbrochen, mit dem Hammer zerhauen.
Es heißt ja eben „doppelt so gut wie Martin Kippenberger“ im Stücktitel. Das Publikum geht mit der Inszenierung mit, lacht ertappt an besonders platter oder böser Stelle: „Die Wunde Deutschland vernarbt, schief“ (Titel 36) und „When you say, you ‚hate all men‘, do you also mean George Floyd?“. Dabei hangelt sich der Abend an einem vollumfänglichen Anspruch entlang, stets eine neue Pointe ad absurdum zu führen und verfängt sich so mindestens im zweiten Teil etwas in Erwartbarkeit ohne dramatische Zuspitzung. Die Elemente von Projektion, Text und Choreografie wirken wie die Titel fragmentarisch und ergeben keinen großen Erzählbogen. Es ist eine unterhaltsame Reise in die Demontage einer entlarvten Wirklichkeit, durch deren Zweckentfremdung sich neue Perspektiven auftun.
Neben dem Autor*innenpreis, dem Internationalen Autor*innenpreis an ein Stück aus dem jeweiligen Gastland, dem Publikumspreis, dem Jugendstückepreis, dem Nachspielpreis und dem SWR Kultur Hörspielpreis vergibt der Stückemarkt 2025 neu auch den FIDENA Stückepreis in Kooperation mit dem Deutschen Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst (dfp) sowie dem Musiktheater im Revier Gelsenkirchen.