Wolfram Koch im Frankfurter „Faust“

Faust in der Geisterbahn

Johann Wolfgang von Goethe: Faust 1 & 2

Theater:Schauspiel Frankfurt, Premiere:19.09.2024Regie:Jan-Christoph Gockel

Jan-Christoph Gockel inszeniert beide Teile von Goethes „Faust“ am Schauspiel Frankfurt. Dabei streicht er monetäre Aspekte des zweiten Teils in der Bankenstadt heraus und liefert eine konsequente Deutung Fausts als Geist. Das geht naturgemäß zu Lasten der Lebendigkeit.

Eine altmodisch gewandete Reinigungskraft eröffnet das Spiel auf der weiten Bühne des Schauspiels Frankfurt. Wolfram Koch beginnt das Spiel als Solo, wandelt sich zum Teufel und spricht den Herren gleich mit. Auf der fast leeren Bühne liegt vorn noch ein grauer, zerknautschter menschlicher Kadaver (Puppenbau: Michael Pietsch), der vom Spielmacher erst wiederbelebt werden muss. Über die folgenden vier Stunden ist diese Puppe – zentraler als der „junge Faust“ von Torsten Flassig – die Faust-Figur: Ein Geist, ein Untoter, der personifizierte Bildungsballast, der selten animiert wirkt (und oft einfach daliegt oder hingesetzt wird), und damit alles in allem eine ziemlich passive Hauptfigur bleibt.

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Mephisto im Mittelpunkt

Mephistos Wort vom „Viertelstündchen Zeit“ zur Vorbereitung der „schönen Fahrt“ bezieht sich dann im Grunde auf die Fahrt selbst. Denn im Höllentempo fährt der nun Gründgens-ähnlich gekleidete Teufel mit dem grauen Faust neben sich in einer veritablen Geisterbahn (mit einem Wagen) durch Stationen aus dem ersten Teil der Tragödie. Auf der Drehbühne (Bühne: Julia Kurzweg) ist vorne die Front einer Kirmesgeisterbahn zu sehen, die „Faust Welt“ betitelt ist. Auf der Rückseite bietet sich der Blick auf Stationen wie Studierzimmer oder Gretchens Stube im Innern der Bahn.

Nicht nur dieser konsequent bespielbare und skurrile Schauplatz, sondern auch die Live-Übertragung einzelner Stationen aus verdeckten Räumen auf Videobildschirme (Video: Eike Zuleeg) erinnert an Bühnen von Inszenierungen des „Meisters“ jüngeren deutschen Regietheaters, Frank Castorf. Während dessen „Faust“-Inszenierung von 2017 sich aber nicht mit Goethes Werk begnügte, bleiben der Frankfurter Regisseur Jan-Christoph Gockel und Dramaturg Claus Philipp in ihrer gleichfalls raffinierten Textfassung eng an Goethes Text. Der wird in diesem „Faust 1 & 2“ allerdings intensiv durcheinandergemixt.

Nach der zügigen Fahrt durch den ersten Teil folgt eine Pause, nach der das Spiel auf dem Platz vor dem Theater mit Kaiser (Melanie Straub) und Kanzler (Christoph Pütthoff) auf der Suche nach Geld weitergeht. Diese mit riesenhaften Bildern auf die Bühne übertragene Szene mit realen Frankfurter Passanten konzentriert sich – passend zur Bankenstadt voller Hochhäuser – auf die Erfindung des Papiergelds. Der schalkhafte Berater Mephisto stiehlt auch hier der passiven Puppe Fausts eindeutig die Schau. Diese Banker zieht es dann zum Feiern in einen Club, der wieder auf der Bühne platziert ist, samt neuer wilder Fahrt durch die Bahn.

Gretchen und sehr alter Mann

Szenen oder Texte aus dem ersten Teil sind integriert, die Puppe im Rollstuhl trifft auf Helena, die vom Monteur Wagner (Andreas Vögler) mit Akkuschrauber immer wieder nachjustiert wird. Der rasanten Fahrt der ersten halbe Stunde folgt im zweiten und (nach einer weiteren Pause) auch im dritten Teil dramaturgisch folgerichtig ein weiter ausholendes Spiel, das allerdings durch kleinere technische Probleme bei Ton, Drehbühne und Live-Film etwas ausgebremst wird.

Wolfram Koch ist ein allzeit präsenter, spaßhafter Spielmacher. Doch bleiben selbst seine diabolischen Züge etwas im Ungefähren, im Grunde ist er doch die gute Seele dieser Faust-Fahrt. Die anderen elf Mitspieler:innen haben nur selten so starke Szenen wie Lotte Schubert als wiederkehrendes Gretchen, das mit Faust-Greis noch einmal die übergriffige Werbung des älteren Herr durchspielt und -leidet. Die Transformation von Helenas und Fausts Sohn Euphorion (Caroline Dietrich) aus einem verunsicherten Teenager in einen berauschten auto-aggressiven Mann ist ein weiteres spannendes Detail, das im ausholenden Spiel unterzugehen droht. Am Ende, nach Fausts Erblinden, seinem wiederholten Sterben, trägt Torsten Flassig sein graues Alter Ego auf den Armen davon. Dann vereint sich das Ensemble unter Nina Simones „I put a spell on you“ auf dem Weg in Richtung Publikum. Applaus.

Diese aufwendige „Faust“-Inszenierung fasziniert durch eine kluge Verknüpfung von Motiven und Texten, sie verdeutlicht die Zeitgemäßheit von Goethes Versen, verlangt dabei vom Publikum jedoch viel Orientierungsvermögen und Ausdauer, sie macht es dem Ensemble schwer unmittelbar zu wirken. Die Wiederbelebung des Faust erfasst nur zuweilen die Menschen um ihn herum, die Puppe der Hauptfigur bleibt aber stumm und leblos, ein Geist.

Wir haben jüngst drei weitere „Faust-Inszenierungen besprochen: Am Staatsschauspiel Dresden, am Wolfgang Borchert Theater Münster und am Jungen Schauspielhaus Düsseldorf.