Tanz satt?

Ioannis Mandafounis: À la carte

Theater:Dresden Frankfurt Dance Company/Bockenheimer Depot, Premiere:15.11.2023 (UA)

Die Dresden Frankfurt Dance Company stellt sich mit neuem Ensemble unter der neuen Leitung von Ioannis Mandafounis vor. Die Uraufführung von „À la carte“ in Frankfurt will herzliche Begrüßung sein, forscht am offenen Herzen – und sättigt doch nicht ganz.

Beim Titel „À la carte“ und der Ankündigung, das Publikum werde beteiligt, befürchtete man eine Abstimmung mit Händeheben oder Smartphone-App. Zum Glück wurde es nicht so. Wie um die Erwartung doch noch schlimmstens zu bedienen, turnten die Tänzer einmal ins Publikum, palaverten mit Leuten und riefen deren „Wünsche“ zur Bühne hinunter zum Conférencier des Abends. „Gefühl“, „Licht pink“, „Schwanensee“. Das führte zu nichts außer einer kurzen Lichtflutung in pink und grün. Da seht ihr mal. Dann ging’s weiter: mit Gefühl und ohne Schwäne. Obwohl, „See“? Die „Sea of Love“ kam vor, der Popsong, den hatten die Tänzerinnen und Tänzer aber lange vorher gesungen und geschunkelt.

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Ja, was wollt Ihr denn, Du Publikum? Das Stück tut verdaulich, fast oberflächlich, aber verweigert sich der Erkennbarkeit. Weder provoziert oder ironisiert es deutlich noch schleimt es sich überzuckert ein. Es  macht Spaß. Doch nicht immer. Wenn der australische Tänzer Thomas Bradley als Conférencier seine Kollegen „player“ ruft, wird das Ganze wie nebenbei als Spiel offengelegt. Die Regeln meinen wir zu kennen, aber das Spiel des Miteinanders im gesamten Theaterraum kontrollieren nicht nur der Choreograf und die Tänzer.

Amüsiert heben Zuschauer die Hände, um als „Fränkfört“ irgendeine Frage zu bejahen. Da hat die lustige Animation geklappt. Auch schießen viele auf Aufforderung kurz vor Ende ein Foto, als die Tänzer schön still stehen als Gruppe. Bei einem superblöden Verdauungswitz, den Bradley erzählt, während eine Kollegin am Musikmischpult rumpelnden Lärm produziert, ist es mit der Wohligkeit vorbei. Passt nicht schlecht. Bedrückend angesichts der derzeitigen Kriege, denken Hirn und Gefühl da.

Es tupft

Ein bisschen blöd auch sehen die Kostüme aus, Kreationen aus Gebrauchtem, ebenfalls von Thomas Bradley. Nicht sonderlich schön, der mal wehende, mal geknüllte Tüll, etwas Glitzer, das geklumpte Geknotete vor den Bäuchen, die Sporttrikots und labbrigen Hosen aus Oberteilen. Die trotzdem großartigen Tänzerinnen und Tänzer tragen’s mit Fassung, können immer noch hoch springen, Beine werfen, Arme heben und verschlaufen. Dabei scheinen sie wiederum ihre Haltungen meist kurz vorm Vollenden abzubiegen, einzuschmelzen, wegzuknicken oder hinzuwerfen. Das verflüssigt das Ballett, das es kaum noch ist, lässt es unermüdlich blubbern. Doch es lässt sich nicht greifen, nicht einfrieren. Es sprudelt auf der Bühne herum. Es tupft.

Tut es gut? Der griechische Choreograf Ioannis Mandafounis, der auch in der Forsythe-Company getanzt hatte, in Frankfurt einige Jahre lang mit dem Trio MaMaZa Stücke  schuf und aufführte, die mit undurchschaubarem Ursache-Wirkung-Verschalten spielten, dann in die Schweiz zog, möchte nun die Dresden Frankfurt Dance Company, kurz DFDC, viel mehr in den beiden Städten verankern als sein Vorgänger Jacopo Godani.

So platzierte er diese Premiere ins regional-internationale Tanzfestival Rhein-Main. Auch traten die im Sommer frisch eingetroffenen neuen Tänzer – nur ein Godani-Tänzer macht weiter – schon bei einem Freiluftfestival am Mainufer auf in „One One One“ von Mandafounis. An diese Performance, bei der einzelne Tänzerinnen und Tänzer am Faden des Augenkontakts mit je einem  Zuschauer in spontan ausgefeilte Tanzekstase geraten, knüpft der Anfang von „À la carte“ an.

Die 16 Tänzer schütten sich rennend auf die offene Tanzfläche, deuten auf Zuschauer, „I’m gonna dance for you“. „I love you!“. Breiten die Arme aus, werfen Beine hoch, verdrehen sich auf jede undenkbare Weise, hüpfen, schlenkern. Augen offen, Gesicht frontal. Lächeln breit und happy. „Raindrops Keep Fallin‘ on My Head“ tönt aus den Lautsprechern. Die gute Laune steckt an, hier ja. Obwohl sie etwas übertreibt. So wird das alles als Show, als Spiel erkennbar.

Mitmachen!

Zur Festlichkeit gehört eben auch der Conférencier Thomas Bradley: sehr gekonnt, mit Sinn für Tempo, Pointen und Pausen. Unerwartet tönen Violin-Solosonaten von Bach vom Band. Sie werden zu Stoffen, rauh und plissiert, denen rasant-softe Duette und Trios beigesellt werden, Improvisationen zwischen Bekannt- und Fremdheit. Die Tänzerinnen und Tänzer gestalten wunderbare Duette fluffiger Zweisamkeit, mit fast neckischem Grundton, den anderen geleitend, stützend, stupsend, ermunternd oder kopierend. Sie wechseln Partner im Rennen, werden drei, mehr, viele, bleiben plötzlich allein. Nicht schlimm. Die Verbundenheit aller mit allen wird durch ihre Wachheit spürbar. Alles andere, das griffig oder bedeutsam wäre, wird vermieden.

Deshalb sättigt der Abend nicht ganz. Er forscht am offenen Herzen, so ließe er sich loben. Noch übergreifender als weiland Forsythe, der später auch keine fertigen Choreografien abspulen ließ, operiert Mandafounis am Zusammensein von Publikum und Bühnenbevölkerung. „I Had a Dream Last Night“, singen, trommeln und trompeten die Tänzer gegen Ende. Wer spielt eigentlich im Traum mit uns?