Foto: Verena Saake, Jonas Matthes, Jan Arne Looss und Dirk Böther in "Fracking for Future" am Schlosstheater Celle © Marie Liebig
Text:Jens Fischer, am 15. April 2023
Satiriker sorgen für klare Verhältnisse. Auch wenn sie Theaterstücke schreiben wie der britische Autor Alistair Beaton. Dann erregt er sich über ein Thema und erfindet dazu Figuren. Sind sie seiner Meinung, gestaltet er sie als die Guten, Herzensguten. Vertreten sie die Gegenposition, sind sie die Bösen. Das Publikum lacht mit den einen und über die anderen. Das sollte besonders gut funktionieren, wenn es um „Fracking for future!“ geht, wie Beatons am Schlosstheater Celle von Pia Richter zur Premiere gebrachte Komödie betitelt ist. Denn außer Unternehmen, die mit der Erdgasgewinnung Geld verdienen wollen, und der FDP, die mit Fracking die aktuelle Energiekrise etwas entkriseln will, sind sich erklärtermaßen die Regierungspolitik und laut Umfragen auch die Mehrheit der Bevölkerung einig. Sie beharren darauf, das 2017 beschlossene Verbot des Hydraulic Fracturing in Deutschland beizubehalten. Wasser, Sand und Chemikalien werden dabei unter hohem Druck durch ein Bohrloch in kilometertiefe Gesteinsschichten gepresst, um sie aufzusprengen, damit das Gas entwichen kann.
Menschen aus Celle sind da häufig eher ambivalent. Denn einerseits ist Niedersachsen „der Eckpfeiler der deutschen Energieversorgung“. Von gut 43 Milliarden Kubikmetern Erdgas, die in Deutschland verfügbar sind, befinden sich 42,8 Milliarden Kubikmeter unter der Ackerkrume des Bundeslandes, wie der 2022 aus dem Amt geschiedene Wirtschaftsminister Bernd Althusmann verlautbart hat. Damit könnte der inländische Verbrauch für das eine oder andere Jahrzehnt gedeckt, also Unabhängigkeit von LNG-Lieferungen aus Amerika oder Katar erreicht werden. Aber es handelt sich nicht nur um Erdgas, das konventionell aus Sandstein gefördert werden kann, sondern mehrheitlich um Gas in Schiefergestein, für dessen Freisetzung eben das giftige Fracking notwendig ist. Unkalkulierbare Risiken sind Grundwasserverschmutzung und seismische Erschütterungen. Und Celle ist das Zentrum der deutschen Erdgasförderung. Mit schwindender Bedeutung. Laut Celler Zeitung hänge dort jeder vierte Arbeitsplatz von der Bohrindustrie ab, die Personal abbaut, weil sich die Fördermenge ohne Fracking aufgrund erschöpfter Lagerstätten zunehmend verringert.
In Großbritannien hat die Gasnotlage bereits über die Gefahrenlage triumphiert. Seit September 2022 ist Fracking dort wieder erlaubt. Dagegen kämpft Elizabeth Blackwood in dem 2016 uraufgeführten Stück von Beaton. Schauspielerin Carla Becker verleiht der emeritierten Mittelalterhistorikerin eine gewisse Oma-Trutschigkeit, so dass ihr erkenntnishelles Erwachen umso wirkungsvoller ist. Erlebt sie doch, dass der Bevölkerung ihres Heimatdörfchens von rücksichtslos profitorientierten Kapitalisten, einem skrupellos manipulierenden PR-Manager, gekauften Sachverständigen und korrupten Lokalpolitikern – genau diese Stereotype bedient der Autor – ein Ja zum Fracking abgerungen werden soll. Elisabeth sieht demokratische Prozesse außer Kraft gesetzt und radikalisiert sich von der gesetzestreuen Staatsbürgerin zur Wortführerin des zivilen Ungehorsams.
Verschenktes Potenzial
Während andere Inszenierungen des Stücks detailverliebt ein kalt abweisendes PR-Agentur-Büro und eine gemütliche Elisabeth-Wohnung gestaltet hatten, setzt Ausstatterin Lise Kruse auf Abstraktion. Eine grellweiß oder anheimelnd bunt beleuchtete Leinwand deutet den Spielort an, der einheitlich mit schwarzen, prall gefüllten Säcken übersät ist. Ein nicht trittsicherer Grund des wilden Diskursgeländes oder ein apokalyptisches Szenario. Dafür spricht ein fett plakatives Bild, in dem Elisabeth allein auf der Bühne hockt und von Asche beregnet wird. Zudem dräuen aus den Lautsprechern unheilvolle Sounds, fracken das Geschehen und setzen Endzeitstimmung frei.
Die Ping-Pong-Dialoge aber sind Comedy-flott inszeniert, auch wenn viele Gags nicht zünden und die Pause der Dynamik des Stücks die Wirkung nimmt. Elisabeth ist das kämpferische Herz des Abends, der mit smarter Eloquenz und zügelloser Energie prunkende Reputationsmanager Joe (Jan Arne Looss) sein überdrehender Motor. Immer wieder aber verzerrt sich Joes offensives Lächeln zu feistem Grienen, denn hinter der Fassade verbirgt sich Verachtung für jedermann. Die anderen Darsteller – Jürgen Kaczmarek, Jonas Matthes, Dirk Böther und Verena Saake – füllen die mau ausgearbeiteten Sidekicks der Protagonisten mit Leben: Elisabeths gärtnernden Biedergatten und eine freakige Berufsdemonstrantin mit Dark-Wave-New-Age-Veganer-Freund auf der Seite der Guten, der bollerige Unternehmer, seine machtzickige Tochter und ein bestechliches Bauausschussmitglied auf der bösen Seite.
Die Celler Stückfassung taugt prima, infotainend das Fracking und die Probleme dabei zu erklären. Die Pro-und-Contra-Debatte aber funktioniert nicht ideal, weil die seriösen Pro-Argumente der Wirtschaft und Wissenschaft zwar vorkommen, aber eben von den Unsympathen artikuliert werden. Zudem unterlässt es die Regie zur Anbindung an Stadt und Region, das Thema des Stücks auf die ökonomisch-ökologisch besonders zwiespältige Situation in Celle zu beziehen. Auch nutzt Pia Richter „Fracking for future!“ nicht als Empowerment-Stück für den gesellschaftlichen Widerstand. In Celle läuft die Inszenierung in der finalen Talk-Show-Situation mit Joe und Elisabeth eher auf die individuelle Verantwortlichkeit zu, etwas gegen Klimawandel zu tun. Denn, so der letzte Satz, „wollen wir wirklich, dass die Menschheit an ihrer Bequemlichkeit zugrunde geht?“ Das sorgt für klare Verhältnisse aber nicht für Ovationen. Auch Gesinnungsapplaus für das eine oder andere Statement hat die Aufführung nicht einmal unterbrochen. Umso wichtiger, dass der Stoff gerade in Celle als Anregung zur weiteren Auseinandersetzung auf die Bühne gekommen ist.