Foto: Niko Eleftheriadis und Melina von Gagern in "SPAM" am Theater Rampe © Felix Grünschloß
Text:Adrienne Braun, am 20. April 2020
Jeder halbwegs vernünftige Mensch würde auf „Löschen“ drücken. Mario aber ist es gerade langweilig, also schickt er kurzerhand einer wildfremden Frau am anderen Ende der Welt seine Kontonummer. Sie hat ihm einen dicken Batzen Geld versprochen. Irgendeine dieser Betrugsmaschen, würde man meinen, aber nein, schon bald hat Mario satte 4,7 Millionen Dollar auf dem Konto.
„Spam“ nennt sich der irrwitzige Monolog des argentinischen Dramatikers Rafael Spregelburd, der die Auswüchse der virtuellen Welt auf das Theater übertragen wollte und dazu die 31 Szenen seines Plots in eine willkürliche Reihenfolge gebracht hat. Ein Mann findet sich in Malta wieder, er hat sein Gedächtnis verloren und versucht wie die Zuschauer, die Eckdaten seiner Existenz zusammenzutragen – und wie bei einem Puzzle ergeben die Handlungsstränge allmählich sein Gesamtbild. Am Stuttgarter Theater Rampe fand 2016 die deutsche Erstaufführung von „Spam“ statt und die Intendantin Marie Bues hat in ihrer Inszenierung erst gar nicht versucht, das Durcheinander zu glätten, sondern, im Gegenteil, die Szenen mit Phantasie und Spielfreude ausgebaut. Da werden Passagen live aufgezeichnet und übertragen oder per Greenscreen in projizierte Fotos montiert, als läge Mario gerade auf einem Handtuch am Meer oder schlürfe an der Strandbar einen Drink.
Doch der Mitschnitt der Produktion, der nun ins Netz gestellt wurde, hat seine Tücken. Die Farben sind verwaschen, sodass man die raffinierten Effekte oft nur erahnen kann. Vor allem der Sound macht Probleme, die Texte sind teilweise schlecht zu verstehen, dann wieder sind eingespielte Songs viel zu laut, sodass man ständig die Lautstärke regulieren muss. Das erschwert es, Marios Spurensuche zu folgen. Er muss „fürchterlich eins gegen den Schädel bekommen haben“ und weiß nicht mehr, warum er im Smoking am Strand von Malta Puppen verkauft hat und im Hotel Caravaggio wohnt – mit nicht mehr im Gepäck als Ausweis und Laptop. Im Internet sucht er nach seinem virtuellen Fußabdruck, aber bekommt nur Mails wie „Vergrößern Sie Ihren Penis!“ – „Schreibt mir sonst niemand?“, fragt er sich angesichts dessen irritiert. Es ist reizvoll, wie Spregelburd das Googeln aufs Theater übertragen hat. Hier geht es um Caravaggio, dort um linguistische Vorlesungen über die Sprache der Eskimos, dann wieder um Puppen, die sprechen können, denen aber Obszönitäten auf die Festplatte gespielt wurden. Ein Fehler des Übersetzungsprogramms?
Am Ende fügt sich eins zum anderen. Mario war auch vor seiner Malta-Reise ein unsympathischer Zeitgenosse, der als Professor für Linguistik die Forschungen seiner Studentin geklaut und veröffentlicht hat. Niko Eleftheriadis beeindruckt in der Rolle dieses Hochstaplers allein deshalb, weil er in diesen knapp zwei Stunden nicht nur souverän die gewaltigen Textmassen meistert, sondern weil er singt, parodiert und mit dem Publikum interagiert. Melina von Gagern hat da den weniger reizvollen Part erwischt, sie muss bei Bedarf die Dialogpartner spielen, einen Taucher aus der Schweiz oder besagte Studentin. Auch wenn der Abend seine Längen hat, die beim Stream noch deutlicher sichtbar werden, ist eine reizvolle Gangsterstory herausgekommen, die ironisch die Fallstricke des Internets aufzeigt. Trotzdem sollte man es Mario nicht nachmachen, und, selbst wenn er 4,7 Millionen Dollar erbeutet hat, Spam auch künftig lieber löschen.