Foto: Erinnert an einen Sommertag im Park: Sasha Waltz & Guests in „In C“ © Jo Glinka
Text:Jasmin Goll, am 7. März 2021
Als würden Szenen an einem Sommertag im Park vorbeiziehen: Menschen begegnen sich, tun sich zusammen und verweilen, bringen sich, vielleicht in einer Sporteinheit oder einem Flashmob, in motorischen Gleichklang und gehen wieder ihrer Wege. So treten auch die Tänzer*innen im Berliner Radialsystem über gleiche Bewegungsabläufe miteinander in Kontakt, lösen die entstehenden Gruppen auf und treten wiederum in neue ein.
Sasha Waltz zeichnet für die dynamische Choreographie verantwortlich, für die sie sich Terry Rileys Werk „In C“ von 1964 annahm. Die Partitur von „In C“ ist kompakt, umfasst nur ein oder zwei Seiten und wird als Gründungsdokument der Minimal Music verstanden. Riley stellt darin ein Baukastensystem bereit, bestehend aus 53 Motiven unterschiedlicher Länge. Tonhöhe und Rhythmus sowie ein Grundpuls in c sind gesetzt, doch die Liste der Variablen ist lang. So ist es den Interpret*innen überlassen, welche und wie viele Instrumente zum Einsatz kommen, wer wann welches Motiv wie oft, wie laut, wie schnell spielt und wie lange das Stück letztlich dauert. Das Material kann in jegliche Form und Klangfarbe gegossen werden und so zeigt sich auch die Interpretationsgeschichte von „In C“ als kreativer Schauplatz. Zu Waltz‘ Choreographie erklingt (leider nur) eine Aufnahme des New Yorker Kollektivs Bang on a Can von 2001, die das Klanggeschehen keineswegs in pastoser Monochromie vor sich hin wabern lässt, sondern es durch eine kleine, aber heterogene Besetzung (u. a. Mandoline, Cello, E-Gitarre und eine chinesische Pipa) transparent und zugleich vielfarbig erschließt. „In C“ wird in flottem Tempo, lebendig und in anhaltender Intensität musiziert – und nicht als kontemplative Schau gradueller klanglicher Veränderungen oder gar penetrante Dauerschleife präsentiert.
Sasha Waltz überträgt dieses modulare Konzept nun auf den Tanz, strebt aber keine gestische Dopplung von Musik und Tanz an. Ihr Baukasten besteht aus einzelnen Bewegungsfiguren, die jeweils einem eigenen Rhythmus folgen. Die zehn Tänzer*innen führen diese individuell (lange) aus und verknüpfen sich kurzzeitig mit anderen, sodass sich die einzelnen Figuren zu wiedererkennbaren Patterns verfestigen. Immer wieder stellen sich über die Synchronisation der Tanzenden Achsen her, die den Raum kurzzeitig organisieren, aber nach wenigen Sekunden überschrieben werden. Die Verspieltheit der Kostüme (von Jasmin Lepore), was Farben, Stoffe und Schnitte angeht, sowie das Lichtkonzept (von Olaf Danilsen), das das Geschehen ‚umfärbt‘ und zeitweise auch als rhythmische Schicht fungiert, dynamisieren den Raum zusätzlich.
Mit großer Exaktheit und Körperbeherrschung heben sie die Arme, rotieren um ihre Schultern, springen – all das sieht gleichzeitig leichtfüßig, impulsiv und so beschwingt aus, als würde jede*r für sich (und doch gemeinsam) eine Choreographie üben, in die man selbst einsteigen möchte. In der Tat ist das Projekt als offenes und hybrides Format angelegt. Das choreographische Material soll in Form von Video-Tutorials zur Verfügung gestellt werden, damit Tänzer*innen die Schrittfolgen einstudieren und in den Prozess eintreten können. Dass hier ein work in progress, das die Dichotomie digital–analog überwinden soll, entstehen könnte, wird jedoch in der Aufzeichnung nicht ganz klar. Die Lichtstimmung schließt die Klammer zum Anfang, die Musik verstummt und die Tänzer*innen gehen nach und nach ab. Auch die Kameraführung, die die Dynamik der fluiden Formationen ansonsten wunderbar einfängt, trägt zu einer gewissen Abgeschlossenheit bei. Dabei konterkarieren Sasha Waltz & Guests den Titel „In C“, den man auch als permanentes Verharren in einer (Corona-)Schleife verstehen könnte, mit ihrer Energie und Lebenslust, von der wir im digitalen wie analogen Raum gerade doch gerne zehren würden.