Foto: Amneris (Hyona Kim) und Radamès (Hector Sandoval) vor der tödlichen Katastrophe © Björn Hickmann
Text:Andreas Falentin, am 6. Oktober 2018
Bunter Saisonauftakt ohne Regiekonzept aber mit hervorragenden jungen Sängern: „Aida“ in Dortmund.
Was man mit nachhause nimmt, sind die letzten Töne der Amneris. Hyona Kims versammeltes inniges Flehen um „Pace“, um Frieden für sich, für alle, für die Welt, trifft ins Herz und erfüllt Verdis Musik mehr als die übersteuerten dramatischen Mezzosoprane, die einem so oft in dieser Partie begegnen. Hyona Kim singt biegsam und farbenreich, phrasiert geradezu beglückend auf dem Atem. Auch Mandla Mndebele als Amonasro fasziniert in seiner Mischung aus stimmlicher Urkraft und gesanglicher Geschmeidigkeit. Und am König von Denis Velev beeindrucken Ausstrahlung, Projektionskraft und wilde Spontaneität. Und mag auch Elena O’Connor in der Titelrolle mit ihrer Neigung zum Tremolieren, ihren unausgeglichenen Registern und ihren Problemen mit der untersten Terz ihrer Partie bisher noch keine Erfüllung sein; ihre natürliche, direkte Ausstrahlung, ihr ungewöhnliches Timbre, vor allem ihre leicht ansprechende, kostbar gefärbte Höhe dürfen als Versprechen gelten. Dieses ungeheuer junge Ensemble, ergänzt um den erfahrenen, souverän gestaltenden Shavleg Armasi als Ramfis und den sich solide durch seine schwere Rolle tastenden Hector Sandoval als Radamès wird den Dortmundern voraussichtlich in den nächsten Jahren viel Freude bereiten.
Vielmehr gibt es leider von diesem Auftaktabend der Intendanz Heribert Germeshausen nicht zu berichten. Im Graben gelingen Gabriel Feltz und den Dortmunder Philharmonikern, gerade zu Beginn und im Nilakt, einige raffiniert disponierte impressionistische Klanggemälde, aber mit den Feinheiten der Agogik, mit jenen Tempo- und im weiteren Sinne auch Klangnuancen, die einer Verdi-Oper erst Leben einhauchen, beschäftigt sich Dortmunds GMD kaum. Im zweiten Akt dirigiert er sogar streckenweise neben Szene und Gesang her, bis er gegen Ende mit einer rustikalen Steigerung alle Komponenten wieder zusammen zwingt. Dafür marschieren dann Chor und Solisten an der Rampe auf wie im Finale einer Fernsehshow und singen geschlossen ins Publikum.
Das hat natürlich auch der Regisseur Jacopo Spirei zu verantworten. Im Programmheft schreibt er, er habe sich entschieden, „keine politische Geschichte daraus zu machen“. So lässt er gleich zwei Kostümbildnerinnen (Sarah Rolke und Wicke Naujoks) sich austoben: dekorative Roben und Klamotten, der junge König in Gold mit Sonnenbrille und Strubbelhaar, der Chor in einer Art neoägyptischem Look mit Anspielungen an bekannte Science Fiction und Fantasy Filme. Die Figuren werden nicht charakterisiert, sondern ausstaffiert. Dafür kein Ägypten auf der Bühne von Nikolaus Webern: ein kalter Raum, später zum silbrig glänzenden Partysaal erweitert, dann im vorderen Drittel mit „Nilwasser“ geflutet. Darauf dann ein Ponton, auf dem Radamès und Aida ihre letzte Ruhestätte finden, stetig verkleinert durch aus dem Bühnenhimmel herab gleitende Plexiglasscheiben.
Das kann man natürlich alles machen, wenn man damit etwas macht. Aber Spirei lässt das Stück einfach durchlaufen. Gleich zu Beginn, in seiner bekannt schweren Arie, die immerhin – wie von Verdi gefordert, aber fast nie umgesetzt – im Piano endet, muss Hector Sandoval mit den Armen herumfuchteln, als hätte er nebenbei den Verkehr auf einer stark befahrenen Kreuzung zu regeln. Um Entschlossenheit zu signalisieren, muss er die geballte Faust gen Himmel und dazu das Kinn recken. Und wenn er nachdenkt, greift er sich ans Kinn. Zur, zugegeben, extrem schwer zu inszenierenden „Schwertweihe“ wird der Feldherr erst mit Einzelteilen einer historisch nicht zu verortenden Plastikrüstung bekleidet. Dann drückt man ihm ein modernes Militärgewehr in die Hand. Amneris wird durch Maske und Kostüme fast zwanghaft in Distanz zum Publikum gehalten. Aida, deren Kostüm vielleicht nach dem Vorbild der Sklavinnen in Margaret Atwoods „Die Geschichte der Dienerin“ gestaltet ist, nimmt nicht einmal im Schlussduett ihr Kopftuch ab, das Emblem ihrer Demütigung. Nirgendwo Stringenz, nirgendwo aufspürbare Reflexion oder gar Ironie.
Vor der Vorstellung trat Heribert Germershausen kurz vor den Vorhang des ausverkauften Hauses, bei dem diese „Aida“, das soll nicht verschwiegen werden, sehr gut ankam, und wies daraufhin, dass dieser Auftakt seiner Intendanz als Triptychon gedacht sei. Am nächsten Tag ein „MusiCircus“ nach Vorbild von John Cage auf prominenten Plätzen der Stadt, dazu abends ein Crossover-Konzert mit Party und Feuerwerk, am Sonntag dann ein „frecher“ „Barbiere di Siviglia“, inszeniert von Martin G. Berger. Wir freuen uns darauf.