Foto: "Welt am Draht" nach dem Film von Rainer Werner Fassbinder. Szene mit Daniel Breitfelder (Fred Stiller) und Julia Keiling (Uschi) © Thilo Beu
Text:Andreas Falentin, am 14. März 2014
Der Spiegel ist die zentrale optische Metapher. Eine mobile, verspiegelte Plexiglasfront zwischen zwei Leinwänden beherrscht das Bühnenbild der Regisseure Biel/Zboralski neben der „spiegelglatten“ Wasserfläche eines Swimming-Pools. Gleich in der ersten Szene wird mit einem Handspiegel hantiert. Ständig kommen Handycams zum Einsatz und vervielfältigen, spiegeln die Gesichter und Silhouetten der Schauspieler.
Fassbinders 40 Jahre alte Vision, gespiegelt am Jetzt: Sind wir so geworden, wie das bayrische Filmgenie sich das in seinem fürs TV gedrehten ScienceFiction-Thriller vorgestellt hat? Und wie sehr werden wir noch von jener Urangst des zivilisierten Menschen bestimmt? Jener Angst vor der Fremdbestimmung, davor, dass in „Wirklichkeit“ fremde Hände in unseren Hirnwindungen Gedanken modellieren, die unmittelbar zusammenhängt mit der Angst allein zu sein, als, gefühlt, einziges Individuum unter lauter ferngesteuerten Abziehbildern.
Es ist das Verdienst der Bonner Aufführung, diese Frage zu stellen, wenn auch etwas zaghaft. Jene hoffnungslose Atmosphäre beziehungsloser Kälte, die Fassbinder durch Reduktion und Lakonie erreicht, wird hier durch stilisierende Übertreibung erzeugt. Passgenau die Gesangseinlagen von Julia Keiling, die eine Leere offen legen, die wirklich schaudern macht. Dazu legt die Kostümbildnerin Petra Winterer Mode der 70er- und NullerJahre übereinander und gewinnt so eine ganz natürlich wirkende nervöse Exaltiertheit, die sich schön in die Körpersprachen fortpflanzt. Die Geschichte um Fred Stiller, der das eine menschliche Gesellschaft simulierende Computersystem ‚Simulacron‘ steuert und am Ende herausfindet, dass der selber nur Teil einer Simulation ist, wird, wenn auch phasenweise etwas verspannt, sehr differenziert erzählt. Leider setzt die Regie hauptsächlich auf den Gegensatz zwischen dem nach und nach in sich zusammensackenden Stiller, den Daniel Breitfelder überzeugend als introvertierten Beau gibt, und seinem Chef Herbert Siskins. Der ist bei Andrej Kaminsky ein Über-Popanz, der seine persönlichen Eigenheiten orgiastisch raumgreifend ins Übergroße(-kleine) treibt. So können wichtige Nebenfiguren wie die Sekretärin Gloria, der Psychologe Franz oder der Polizist Lehner kein Profil gewinnen. Weil es an Spannung fehlt, ist, anders als in Fassbinders Film, ihre Position im System der Simulationsebenen nicht von Interesse.
Das liegt keinesfalls am hervorragenden Bonner Ensemble, schon eher an der kürzenden Bearbeitung des Textes, am Fehlen eines dezidiert theatralischen Zugriffs. Immer wieder steht die Filmästhetik im Vordergrund. Die erste und die letzte Szene spielen ausschließlich auf der Leinwand. Die häufig zur, manchmal überflüssigen, Untermalung herangezogene Tasteninstrumentmusik von Jimi Siebels erinnert an Filmmusiken von Glass oder Einaudi. Immer wieder werden dem Bühnenbild neue Möglichkeiten „schneller Schnitte“ abgewonnen. Aber die konzentrierte Großaufnahme auf der Riesenleinwand, das große Alleinlassen des Protagonisten, hat das Theater nun mal nicht zur Verfügung. Wo bei Fassbinder die Augen von Klaus Löwitsch und Gottfried John wirklich zum sprichwörtlichen „Spiegel der Seele“ werden, kann Daniel Breitfelder nur in den Swimming-Pool springen. So bleiben alle diese Menschen – oder Programmiereinheiten – emotionslose Behauptung, bespiegeln nichts als sich selber. Das vermögen all die virtuos dazu gemischten Regietheaterzutaten, vom Zeitlupengang übers Rollschuhfahren, von der virtuosen als-ob-Gymnastik bis zum brillanten, kleinteiligen In-Fight für zwei, nicht zu verdecken. Vielleicht sollen sie das auch nicht.