Foto: Roger Vontobels Version von "Philotas" mit Jana Schulz am Schauspielhaus Bochum. © Diana Küster
Text:Detlev Baur, am 3. Januar 2014
Eine einzige Darstellerin mindestens zweier Figuren und ein vielfach genutzter Stuhl. Und am Ende gibt es ein kleines Feuerwerk: Jana Schulz, Solospielerin in “[fi’lo:tas]” nach Lessings “Philotas”, hat aus den beiden verbliebenen Stuhlbeinen elektrische Leitungen gewickelt und miteinander verbunden. Dann blitzt, als alles zu Ende zu sein scheint, auf dem umgedrehten Stuhl ein kurzes Feuerwerk auf und das knapp einstündige Drama ist endgültig aus.
Jana Schulz und Regisseur Roger Vontobel haben in dieser neu aufgelegten Inszenierung aus Hamburger Studienzeiten Lessings Märtyererdramolett “Philotas” mit der Geschichte des “amerikanischen Taliban” John Walker Lindh verknüpft. Während bei Lessing ein kriegsgefangener Prinz meint, das er seinem Vater und seinem Land am besten damit diene, sich umzubringen und so zum Märtyrer zu werden, suchte der Amerikaner Lindh offenbar den Sinn seines Lebens bei den vermeintlichen Feinden des Vaterlands – und wurde schließlich zum Kriegsgefangenen zu Hause.
Jana Schulz spielt auf einer kleinen weißen, mehligen Fläche im schwarzen Raum von Beginn an eine zugleich konzentrierte wie verirrte Person. Der Stuhl dient ihr nicht zum Ausruhen, sondern wird zum Objekt ihrer Aggressionen und zum Instrument ihres warren Aktionismus: Er dient als Schwert, wie ihn Lessings Philotas gegen sich selbst richtet. Der ganz auf sich selbst fixierte, pathologische junge Mensch vermischt sich bei Schulz zuweilen mit Lessings Figur, findet in dessen klarer Sprache sogar zeitweise Halt. Vontobel blendet jedoch auch das Außen ein. Mit Livebildern der Figur von hinten, die auf eine Leinwand projiziert werden, oder mit muslimisch konnotierter Musik oder sehnsuchtsvollem Country-Sound. Zum einen suchen Vontobel und Schulz nach den psychischen Ursachen männlicher Gewalt und Selbstverstümmelung: Hier ist Jana Schulz eine grandiose, hemmungslose und ganz uneitle Darstellerin. Zum anderen bringen sie klug von Lessing kritisierten Radikalismus mit islamistischem Terror und mit amerikanischen Träumen bzw. George Bushs radikalem Kampf gegen den Terror in Verbindung. Der Klassiker dient zur Bereicherung eines Gegenwartsdramas – und beschert uns zum Jahresbeginn ein vielfältiges, beeindruckendes und anregendes Solostück, das weit über eine Figur hinausweist.