Seinen ungewöhnlichsten Einfall platziert Montero in einem wahren Rausch aus aufgerüschtem Stoff, der, mal blutrot, mal tiefschwarz ausgeleuchtet gleich einem riesigen Flamencorock bisweilen die gesamte Bühne auskleidet (Montero und Verena Hämmerlein). Ein Metareich, von dem aus die „Ur-Verführerin“ in Gestalt der kastagnettenschlagenden Flamencotänzerin Esther Jurado (als Gast vom Spanischen Nationalballett) ihre Fäden zieht. Immer wieder steigt sie, die Arme imposant in die Höhe geschraubt, in die Niederungen menschlicher Verbandelungen herab. Zuletzt obliegt es ihr als Archetyp, dem Don Josés Todesstoß nicht lange etwas anhaben kann, den Frauenmörder ins finstre Kittchen zu führen.
Montero setzt sein wandelbares Ensemble innerhalb einer Arena auf zwei Ebenen, die von beidseitig hinaufführenden Rampen abgezirkelt ist, für pfiffige Tableaus mit beschwingten Frauentänzen, auf Cajones (Hocker) trommelndes Volk, Soldaten und aufgeregt kreischende bzw. zankende Tabakarbeiterinnen ein. Carmen, die als Femme fatale par excellence – unfassbar in ihrem facettenreichen Wesen – das Dilemma emotionaler Verstrickungen auch zwischen Don José und seinem Rivalen Escamillo (in bravouröser Macho-Allüre eines Toreadors: Saúl Vega) erst auslöst, besetzt Montero gleich dreifach: Die selbstbewusste Sophie Antoine, die zärtliche Sayaka Kado und die aufbrausende Jaione Zabala sind in ihrem dramaturgischen Zusammenhalt eine Herausforderung, die der Ballettmacher wie ein Bildhauer, der mit fließender Materie arbeitet, bewältigt.
An einer entsprechenden Differenzierung hätte man freilich mehr feilen können. Aber angesichts des wahrlich ergreifenden Pas de deux im vorletzten Bild, das auf mobiler Schräge in vier sich steigernden Etappen dahingleitet, während Don Josés Liebe in Kados Armen zumindest übergangsweise Erfüllung findet, löst sich selbst dieser Kritikpunkt in Wohlgefallen auf.