Verspielt und assoziationsreich
„Die Kunst der Wunde“ von Katja Brunner ist ein Essay-Sprech-Text, der von Wortspielereien und Assoziationen lebt. Schon in früheren Stücken von Brunner spielten Körper, meist in speziellen Umständen, eine Rolle: In „Geister sind auch nur Menschen“ lädt sie das Publikum in ein Altersheim und in „Von den Beinen zu kurz“ erzählt sie von der Vergewaltigung einer Minderjährigen. In ihrem neuen, hochreflexiven Text sinniert sie in beispielhaften Szenen über den Körper selbst und wie der Staat auf die in ihm lebenden Körper einwirkt.
In der Bahn sind die Blicke der anderen Fahrgäste zu spüren, die jeden Körper in ihr Werte-Schema einordnen. Junge Eltern machen sich kurz nach der Geburt schon Gedanken über den Wert der jungen Leiber, die sich bitte einzufügen haben. In eine Gesellschaft, die Arbeitskraft in gesellschaftlichen Wert umrechnet und die gut gemeinte Hinweise gibt, wie man Wunden nach häuslicher Gewalt versorgen soll – bloß nicht zu laut. Eine weitere Reihe von Szenen wird laut überlegt, was zum Staat gehört. Vor allem hier offenbart sich das Stück als Sprachkunstwerk, das reimend von „Dichtern und Denkern“ zu „Richtern und Henkern“ kommt und Mangel mit Mengele verknüpft. Brunner wirft ein breites Panorama darüber auf, wie wir über Körper sprechen, wie wir über Körper verfügen und vor allem, wie wir Körpern Gewalt antun – das aber nicht immer gleich verurteilen.
Der Text lebt von großen Gedanken und wilden Worten, aber bietet keine Figuren und kaum Handlung, höchstens konkrete Spielsituationen. Regisseurin Katrin Plötner begegnet der Textfläche vor allem mit Posen: Die fünf Spielerinnen heben ihre Fäuste in die Luft und bald darauf wird die Kampfpose zum simplen Festhalten an den Stangen in der Bahn. Mit imaginären Kaffeebechern und Zigaretten ausgestattet, versammeln sie sich und sprechen von oben herab, was den Staat ausmacht. Von dort haben sie sich zuvor mit Masken vor den Gesichtern als Babys in den Wahnsinnsstaat gestürzt. Der Ansatz, mit Körperzeichen zu arbeiten, ist zwar spannend, gerät jedoch zu statisch. Es fehlt zu oft an einem spielerischen Umgang mit dem Text und dem Thema – denn schließlich haben auch die Darstellerinnen und Darsteller Körper, die meist nur als solche sichtbar werden, wenn sie mit Wumms gegen die Wände laufen.
Mit einer ähnlichen Energie bringen die fünf auch den Text zum Klingen. Anfangs wirkt das noch hölzern und steif, doch allmählich schälen sich Sprechpersönlichkeiten heraus – keine Figuren, eher verschiedene Stimmungen: Anne Cathrin Buhtz überzeugt mit positiver Anpackungskraft. In Katharina Schmidt scheint Verunsicherung und Wut zu brodeln. Dirk Lange macht gerne klare Ansagen, beispielsweise, wenn er als eine Art Fitness-Coach „Vorwärts! Vorwärts!“ ruft. Eidin Jalali bleibt ungebrochen gut gelaunt, auch als er die Namen von Opfern von rechter Gewalt aufzählt. Währenddessen wirkt Denis Grafe etwas müde – immer zu spät und etwas daneben wirft er Anmerkungen ein.
Am Ende erzählt Buhtz, wie supergeil dieses und jenes ist – das Leben der Privilegierten. Dazu winden sich die anderen zuckend auf dem Boden. Manisch wiederholen sie die vorherigen Körperzeichen und Posen – unwillkürliche Reaktionen auf die Macht der als wertvoll deklarierten Körper. Katja Brunner hat mit „Die Kunst der Wunde“ einen starken Text geschrieben, der mit Sprachmacht und Sprachwitz die ganze Bandbreite eines eher philosophischen Gedankens vermittelt. Zwar kann Katrin Plötner mit ihrer Inszenierung nicht im gleichen Maße überzeugen, aber sie schafft es, die Qualitäten des Textes herauszuarbeiten – was auch keine leichte Aufgabe war.