Foto: Oper neu gedacht: das Monteverdi-Projekt von Novoflot beim Kunstfest Weimar. © Falko Sievert
Text:Ute Grundmann, am 24. August 2019
„Dann werden die Töne süß, dann kommt die Oper!“, rufen Schülerinnen und Schüler über den Theaterplatz in Weimar. Dann ziehen sie weiter zum Herderplatz, wo sie einen großen Kreis bilden, gehen, schreiten, mit den Händen Treuegesten vollführen. Schließlich kommen die jungen Leute, in blaugraue Augen-Blousons, Shorts oder Miniröcke gekleidet, mit ihrer „Chorischen Intervention“ am E-Werk an. Sie führten ihr Publikum, das mit ihnen durch die Stadt gewandert ist, zum Hauptort und -werk dieses so kunst- wie anspruchsvollen Abends. Die Berliner Opernkompagnie Novoflot brachte den ersten Teil ihrer Trilogie „Die Oper #1 – Am Kreis“ zum Kunstfest nach Weimar mit.
Hier spricht sogar der Kugellautsprecher. Mit Weltraumstimme (Philine Reimer) spricht er von der „Geburtsstunde der ersten europäischen Oper“, während ein weiß-schwarz gekleideter Dirigent mit exakten Gesten die Stille leitet. „Für den Anfang“ lautet der Untertitel der folgenden 65 Minuten, dazu noch „Nach Motiven aus Monteverdis Orfeo“. Damit ist man beim Kern dieses Unterfangens: Wie entstand die erste Oper, als deren Schöpfer Claudio Monteverdi gilt? Da das niemand wissen kann, wird gesucht und experimentiert: Mit Worten werden Tonhöhen und Vokalisen aufgerufen. Ein zweiter, schwarz-weiß gekleideter Dirigent spricht, auch mit Hilfe von Alexander Kluges „Erstem imaginären Opernführer“ und „Tausend Plateaus“ von Gilles Deleuze und Felix Guattari, über die Oper, die „zu denken beginnt“, „Angst nicht mehr ist, sondern fühlt“.
Immer noch gibt es keine Töne, obwohl eine kleine Combo im titelgebenden Kreis aus Stühlen des Bühnenbildes (Ausstattung: Elisa Limberg, Nina von Mechow) bereitsteht, gestapelte Stühle warten auf weitere Gäste. Dann hebt die Trommel an, rhythmische Bläsertöne kommen dazu, passend zum Text, die Oper spüre einen Rausch aus gefühlten Tönen. Den bringt die Sopranistin Yuka Yanagihara ins Spiel: hoch und dramatisch, von einem sehr tiefen E-Bass (Chris Dahlgren) begleitet. Das Ensemble um Regisseur Sven Holm, der zusammen mit Malte Ubenauf das Konzept entwickelt hat, was zu dieser ersten Oper passen könnte: ein gemeinsamer, heller Chor? Italienisches Singen und deutsches Sprechen? Ein elegischer oder ein wilder Tanz (Ichi Go)? Oder die gelassenen Tanzbewegungen eines Mannes, der zum bunten T-Shirt müllmannorangene Hosen trägt? Viele Fragen bleiben offen, müssen offenbleiben, wenn „Die Oper #1“ erprobt, wie die Klänge, in die Monteverdi das „Orfeo“-Thema setzte, entstanden sein mögen. Dazu erklingt natürlich seine Musik, aber viel mehr noch Jazz, swingend, heiter, aber auch wilder, auch mal ohrenbetäubender Freejazz.
Am Ende schließt sich der Kreis tatsächlich, denn die Schülerinnen und Schüler der „Chorischen Intervention“ kommen hinzu, eine Riesengruppe, die mit dem kleinen Ensemble diesen wundervoll fragenden, tastenden, suchenden Abend ausklingen lässt. Diesem ersten Teil, einer Koproduktion von Novoflot, DNT und Kunstfest, sollen zwei weitere folgen, bei den kommenden Kunstfesten. Zusammen mit dem vielgelobten Reenactment der Weimarer Verfassungsversammlung zur Eröffnung war das ein gelungener Start des neuen Leiters Rolf C. Hemke.