Foto: Szene aus "Moses und Aaron" an der Opéra national de Paris © Bernd Uhlig
Text:Joachim Lange, am 22. Oktober 2015
In Arnold Schönbergs Opernfragment „Moses und Aron“ sucht Moses nach den passenden Worten, um seinen Gott dem Volk, das bislang mit vielen Göttern auf vertrautem Fuße gelebt hatte, verständlich zu machen. In der Pariser Bastille Oper sucht Romeo Castellucci nach einer beinahe unsichtbaren Bühne. Oder nach einem Schwarz-Weiß Theater mit einer selbst gestalteten, ganz eigenen Bühnen-Ästhetik. Man musste schon sehr genau hinschauen, um zu erkennen, was da anfangs hinter der weißen Gaze passierte. In einer Art himmlischem Schattenreich, in dem man nur die Schemen der Menschen erahnt, deren Gesang man dafür umso deutlicher hört.
Dabei gibt es am Anfang noch ein höchst wiedererkennbares Zeichen für das Wort- oder Bilderdilemma, um das es geht. Die Stimme aus dem Dornbusch kommt als alter Filmprojektor aus der Höhe, der seinen Zelluloidfilm auf Moses abspult. Offenbar hat der große Filmvorführer genug von allem Bilderzauber, jedenfalls nimmt Moses das so als seinen Auftrag. Ein allumfassender Gott, von dem man sich gefälligst kein Bild zu machen habe, sei ab jetzt das Gebot der Stunde und damit basta. Dass sein Bruder Aron diese Sache mehr von den Verstandeskräften und Glaubensgewohnheiten seines Volkes aus sieht, ist nicht nur nachvollziehbar, es hat auch propagandistische Vorteile. Doch das „getrennt marschieren, vereint siegen“ endet bei den beiden in einem Bruderzwist.
Da Schönberg (1874-1951) den eigentlich vorgesehenen dritten Akt nicht mehr komponieren konnte (oder wollte), endet das Werk mit den ziemlich verzweifelten Worten Moses’ „O Wort, du Wort, das mir fehlt!“. Dazu stürzt immerhin der Himmel ein. Der gleißend unschuldsweiße, dann düster schwarze, nie konkrete, sondern abstrakte Bühnenraum hatte sich bei Moses Rückkehr nach den 40 Tagen Abwesenheit zu einem Bergpanorama gewandelt. Als Kulisse für ein finales Also-sprach-Moses-Donnerwetter. Doch dann klettern ein halbes Dutzend schwarzverhüllte Bergsteiger in die Höhe und reißen die Prospekte herunter. Auf das Sterne aus der Unendlichkeit Moses’ verzweifeltes Schlusswort überfunkeln und für ein paar Sekunden atemloser Stille vor dem Beifall sorgen.
Natürlich war es doch grandioses Bildertheater, das Castellucci hier bot. Aber eins, dessen Faszination aus der Grenzüberschreitung zum Nichtmehrsichtbaren erwächst. Und das durch einen sehr realen metaphorischen Effekt noch verstärkt wird. Hält man den gehörnten malmenden Tierkopf, der anfangs im Hintergrund auftaucht, noch für ein Hologramm, so wird beim Tanz ums Goldene Kalb klar, dass hier ein Stier mit anderthalb Tonnen Lebendgewicht präzise im Zaum gehalten werden muss, um als Großer Bruder des zum Gott erhobenen goldenen Kalbs jeder Wohlstandsorgien-Alberei drumherum aus dem Weg zu gehen. Für militante Tierschützer sicher ein Graus, für die Bühne aber ein Coup. Zumal Cindy Van Acker eine faszinierend verinnerlichte Slowmotion-Choreographie um das geduldige Tier herum beisteuert. Für den Jahrmarktszauber, den Aron mit der Verwandlung von Moses’ Stab in eine Schlange vollführt, hat sich Castellucci eine Art futuristische Raum- oder Erderforschungs-Sonde ausgedacht, an der allerhand blinkt, sich dreht und raustropft.
Ansonsten aber bleibt seine Ästhetik beim Gegensatz von Schwarz und Weiß, von Einzelstimme und Chor-Wortmasse, von schemenhafter Unsichtbarkeit und immer schneller auf den Gazevorhang projizierten Worten, von der unschuldsweißen Abstraktion eines schwerfassbaren Gottesbegriffs und dem klebrig schwärzenden, pragmatischen Umgang mit den Niederungen der Wirklichkeit. Auf deren Bildersprache sich Castellucci aber eben nicht einlässt. Eine starke Verweigerung! Und ein Weg in genau die andere Richtung, die zuletzt Barrie Koksy gegangen ist, der am Ende gar mit einen Leichenberg die Sprachlosigkeit gegenüber dem Holocaust in den Raum gestellt. Hier denkt Castellucci auf seine Weise unpolitischer und zugleich radikaler. Weniger als Zeitgenosse, mehr als Gesamtkunstwerker.
Musikalisch entfalten Philippe Jordan, das fantastische Orchester der Pariser Oper, der Riesenchor und die Protagonisten raumfüllenden Klangluxus, samt der ausgestellten Schönheit auch des Atonalen. Da Thomas Johannes Mayer als nur sprechender Moses pure Verschwendung wäre, fällt er fast durchgängig in einen voluminös wohlklingenden Sprechgesang mit autoritärem Duktus. Da hat es John Graham-Hall als sein singender Bruder Aron manchmal schwer dagegen anzukommen. Was aber auch wieder passt. Die übrigen Rollen sind mehr auf Stichworte beschränkt und sorgfältig besetzt. Der Chor (José Luis Basso) ist seiner Hauptrolle überzeugend gewachsen.