Foto: Faust (Adriana Bastidas Gamboa) in kosmisch greifbarer Virtualität © Paul Leclaire
Text:Andreas Falentin, am 21. Mai 2017
La Fura dels Baus inszenieren „Das Lied der Frauen vom Fluss“ von Howard Arman an der Oper Köln.
„Das Lied der Frauen vom Fluss“ in Köln ist eine der am längsten und häufigsten verschobenen Produktionen der jüngeren Musiktheatergeschichte. Angesetzt noch von Ex-Intendant Uwe Eric Laufenberg konnte das ursprünglich für die Aufführung auf einem Schiff geplante, recht aufwendige Projekt zunächst durch die Wirren um den übers Knie gebrochenen Intendantenwechsel nicht realisiert werden. Dann stand kein Liegeplatz im Kölner Hafen zur Verfügung, später verhinderte notorisches Niedrigwasser im Rhein die Premiere. So kam im Januar 2015 das koproduzierende Theater Luzern den Kölnern zuvor, mit einer Aufführung im dortigen Konzerthaus. Jetzt passte man diese Arbeit ans Kölner Staatenhaus an. Und so macht das katalanische Künstlerkollektiv „La Fura dels Baus“ auf seiner endlosen, fast atemlos wirkenden Europatournee Station in Köln – wenige Tage nach der umjubelten Premiere von Haydns „Schöpfung“ in Wien und drei Wochen bevor sie Honeggers „Jeanne d’Arc au Bucher“ in Frankfurt auf die Bühne wuchten.
„Das Lied der Frauen vom Fluss“ ist ein Pasticcio aus Barock und Romantik, frisch arrangiert, angereichert mit Klangexperimenten, gedacht als Fest aller Sinne, als Oper an sich. Zu Beginn werden aus Dosen Aromen versprüht, im weiteren Verlauf wird immer wieder eine Winzigkeit zur Stimulierung der Geschmacksknospen gereicht und am Ende streicht einem ein Tänzer gar mit einer weißen Feder sanft über das Gesicht. Varieté, Cabaret, leichtfüssige Unterhaltung mit musikalischem Tiefgang scheint die Ursprungsidee gewesen zu sein. Im Entstehungsprozess des Projektes scheint man jedoch von einer assoziativen, tatsächlich den Sinneseindrücken folgenden Dramaturgie abgekommen zu sein und hat sich doch für eine halbwegs stringente Fabel entschieden, eine auf aktuelle Befindlichkeiten reagierende Überschreibung des Faust-Mythos, textlich entwickelt von dem katalanischen Autor Marc Rosich. Faust begegnet hier, nach einem multiplen Selbstmordversuch (Vergiften, Erhängen und Pulsadern aufschneiden!), nicht Mephisto, sondern seinen eigenen Abgründen und beschließt, dass die freie Entfaltung seiner individuellen Bedürfnisse und Lüste, virtuell und auch sonst, seine nicht näher namhaft gemachten Probleme lösen soll. Der alte Zausel verwandelt sich in eine junge Frau und huldigt seinem Körper. Das Spektakel beginnt.
Und es wird – fast möchte man sagen: natürlich – vor allem mit den bekannten „La Fura“ – Theatermitteln ins Werk gesetzt, als da wären die obligatorische Bilderflut auf allen Kanälen, die nicht sonderlich ausgefeilten, aber stets angenehm zu betrachtenden Choreographien, die mechanischen, Spezialeffekte ermöglichenden Apparate und die hautengen Kostüme in Fleischfarbe, Blutrot und vor allem glänzendem Silbergrau mit wechselnden Kopfputzen und sonstigen Accessoires. Einiges erkennt man sogar wieder. Die Idee der Zentrifuge etwa wurde seinerzeit bei „La Damnation de Faust“ in der Salzburger Felsenreitschule erstmals umgesetzt, beim Opern – Coming Out der Gruppe. Und die Aquarien beherbergten seinerzeit die Rheintöchter im „Ring“ in Valencia, „La Furas“ wohl größtem Erfolg.
Obwohl die Wahl und Anordnung der Mittel nicht nur momentweise beliebig wirkt, macht der anderthalbstündige Abend Spaß. Ein Grund dafür ist sicher die Tatsache, dass der Zuschauer hier nah dran ist, geradezu Teil des Bildes. Bei einem ‚normalen‘ „La Fura dels Baus“-Spektakel fühlt sich der Zuschauer klein angesichts der gewaltigen Bildströme und Theatereffekte, die da weit entfernt auf der anderen Seite des Orchestergrabens stattfindet. Hier ist alles mit Händen zu greifen. Der Zuschauer sieht, wie die Bilder entstehen inclusive Netz und doppeltem Boden – und muss Salz essen, wenn Rusalka den Mond ansingt, was Claudia Rohrbach, teilweise waagerecht schwebend, übrigens sehr schön macht. Die Straßentheatervergangenheit der Gruppe scheint ungezwungen durch. Alles wirkt spontan, improvisiert und ein wenig verrückt. Noch während des Einlasses hält Regisseur Carlus Padrissa lächelnd und gestikulierend Zwiesprache mit den Tänzern.
Für die Musik hat der Dirigent Howard Arman elf Ariengemmen angeordnet, größtenteils neu arrangiert und mit eigenen Zwischenmusiken verbunden. Eine große Rolle spielen dabei die zehn von Roland Olbeter entwickelten „Sound Machines und Pollywogs“, pneumatische Musikinstrumente, die achteltongenau intonierbar sind und eine silberstifthaft dünne, aber nie im engeren Sinn leise clusternahe Mikrotonalität etablieren, die als die virtuelle Welt widerspiegelndes Hyperkonstrukt wirkt, als Gegenwelt jener barocken Klangwelt, die das um Akkordeon und Saxophon verstärkte Gürzenich – Orchester ganz selbstverständlich leuchten lässt. Die Sänger haben es in diesem Umfeld nicht leicht, etwa Maria Kublashvili, die „Endless Pleasure“ aus Händels „Semele“ zu intonieren hat, während sie auf einem Zentrifugengestell permanent nach oben respektive unten gekippt wird. Sämtliche Sänger unterziehen sich diesen ungewöhnlichen Anforderungen mit einem Maximum an Einsatz und Musikalität. Als Faust(a) hat Adriana Bastidas Gamboa nahezu Unmögliches zu leisten, romantische, barocke und Renaissance – Arien zu singen und dabei permanent in oft unbequemsten Haltungen auf der Bühne präsent zu sein. Ihre Koloraturen erscheinen eher von unbedingtem Ausdruckswillen als von überdurchschnittlicher Virtuosität geprägt, ihre intensive Darstellung prägt sich ein.
Weitere Termine: 24./27./30.Mai; 1./3./6. Juni