Foto: Alexander Scheer (Mephisto) und Marc Oliver Schulze (Faust) in Frankfurt. © Birgit Hupfeld
Text:Detlev Baur, am 16. September 2012
Die Walpurgisnacht im Frankfurter „Faust I“ zeigt überbelichtete, weißliche Baukräne, die sich um ein Hochhaus herum drehen. Dann rollen die Euros durch das Video von Chris Kondek und hostessenartig uniformierte Frauen werden durchs Bild geschoben. Selbst Alexander Scheers sonst überaus agiler Mephisto steht nun neben dem Faust Marc Oliver Schulzes wie paralyisert und beschreibt, was er nicht versteht. Zu Beginn ist Schulzes Faust ein unzufriedener Schluffi zwischen zeitlos-weltfernem Gelehrten und aus der Zeit gefallenem Ex-Hippie; man möchte ihm eine Wäsche seiner langen, ungepflegten Haare empfehlen, damit er wieder auf andere Gedanken komme. In seinem Haus, das von Barbara Ehnes als verquere Mischung aus Design-Loft und expressionistisch angehauchter Retro-Kammer entworfen ist, und das in der Folge immer wieder von einer kleinen kapuzentragenden Band belebt wird, räsoniert dieser Faust ziemlich traditionell deklamierend über sein Nicht-Wissen.
Stefan Puchers Inszenierung, die den Auftakt zu mehreren „Faust“- und Faust-Stoff-Inszenierungen am Schauspiel Frankfurt bietet, spart jedes Vorspiel und göttliche Eingreifen aus. Im Wechsel mit punkig-poppigen Songs und wunderlichen Filmprojektionen, die Faust und Wagner in einer ersten bemerkenswerten Szene um den Frankfurter Hauptbahnhof herum den Osterspaziergang begehen lassen, agiert und spricht dieser Faust also statisch und altmodisch, wirkt insgesamt etwas uninspiriert: kein inneres Brodeln, wie es in der Inszenierung von Nicolas Stemann jüngst noch höchst expressiv in die drei Hauptdarsteller hinein verlegt war. Dafür wirkt Alexander Scheers präsentes und höchst lebendiges Agieren als Mephisto alias Zauberkünstler, Entertainer oder Rockmusiker umso lebhafter. Gretchen wiederum, gespielt von Henrike Johanna Jörissen, spricht wiederum weitgehend klassisch. Im ausgefallenen Putz und im Verhältnis zu den beiden Herren auf der in immer schrägere Ansichten gedrehten Bühne erscheint dieses Frankfurter Gretchen dann wieder als eine Alice im Goetheland. Das Ende ist ein ganz einfacher, sogar tränengetränkter Monolog der armen, an den Männern irre gewordenen Puppe. Kein Richten oder Retten – nur das Grauen bleibt, und ein durch Überbelichtung entstandener Fleck Gretchens auf der weißen Wand, nachdem sie die Bühne verlassen hat.
Dieser „Faust I“ ist also eine eigenwillige Mischung aus aktueller Bild- und Musikkultur mit altehrwürdigen Versen. Opern- oder operettenhaft lässt Pucher das Ungleiche hintereinander stehen bzw. verdreht es ineinander. Die Gretchenhandlung erhält so ein irreales Gepräge. Das hat seinen Reiz, im Grunde ist dieser ganze erste Teil eine merkwürdige Walpurgisnacht. Dabei ist Alexander Scheers hyper-vitaler Mephisto darstellerisch überragend. Das Geschehen auf der Bühne ist ein hochartifizielles, unterhaltsames, zuweilen anregendes Kunstspiel. Alles dreht sich, es entsteht eine interessante Faust-Version, zupackendes Theater mit Anliegen in dieser Welt sieht aber anders aus.