Foto: Das pozentierte Bremer Faust-Ensemble © Jörg Landsberg
Text:Detlev Baur, am 23. Oktober 2014
Faustisch vermessen mutet dieses Projekt am Theater Bremen an. Regisseur Felix Rothenhäusler und Dramaturg Tarun Kade suchen den Kern von Goethes Drama, nutzen zu Beginn in einer Art Vorfilm Elfriede Jelineks Umschreibung „FaustIN and Out“ und landen schließlich mit den acht Darstellern samt Film (Max Linz) und der Musik von Matthias Krieg bei der zehnfachen Potenzierung, bei „Faust hoch zehn“. Zu Beginn also wandeln, sitzen oder liegen die filmisch auf eine großen Leinwand projizierten acht Gestalten in Räumen des Theaters oder um einen Baum herum und schwadronieren zu elektronisch-esoterischer Musik über Sein und Wert der Philosophie. Das Goethe-Zitat „Am Gelde hängt doch alles“ schimmert einmal durch; die auf Goethe aufbauenden – oder wohl eher ihn untergrabenden Texte, die Gretchens Schicksal mit Männergewalt und Kellerverliesen in Verbindung bringen, – Worte von Jelinek klingen in dem filmischen Vorspiel fast wie ein esoterischer, und ziemlich sinnloser, Pollesch-Redefluß. Geprägt werden diese Szenen durch die sanft-verrätselnde Musik und die einfach-eleganten Kostümen und ein seltsames High-Tech-Regal, das etwas von einem fahrbaren Sarg hat (Kostüme und Bühne von Knut Klaßen).
Im Hauptteil wird das Bühnengeschehen dann konkreter. Begleitet vom Musiker Matthias Krieg strebt das Ensemble frontal zum Publikum im Kleinen Haus fortwährend Richtung Zuschauerraum, in stampfenden und tänzelnden Schritten und Sprüngen nach vorne (und notwendigerweise auch wieder zurück). Die Richtung ist klar und die stichwortartigen Berichte über Reisen vom Bus bis in den Weltraum, über körperliche Metamorphosen im Tanz oder beim Eingraben in die Erde, über immer weiteres Streben vom Geldmachen zum Kunstausstellen, Technorausch, Tiere-Retten bis hin zur Gründung einer neuen Gesellschaft, all diese Kurzerzählungen mit appelativem Grundtenor beschreiben eine Übersetzung des faustischen Prinzips ins Heute. Egoistische Selbstverwirklichung, Esoterik und Kommerzgeilheit geraten da in eine unheimliche Nähe. Dabei schaffen Regie bzw. Choreographie, Musik und die Darsteller bei aller Vereinzelung im Nebeneinander eine verblüffende, fast unheimliche Kraft. Obwohl das Spiel anderthalb Stunden auf der Stelle tritt und tänzelt, entwickelt das Ensemble eine starke Dynamik durch die imaginierte, nicht nur äußerliche Bewegung auf den Spuren Fausts. Am Ende fahren sich die Spieler im fahrbaren Sargregal von der Bühne, die Musik übernimmt das Spielfeld: forschend, drängend, verführend im Wunsch-All.
Die zehnfache Potenzierung „Fausts“ in Bremen ist nicht unbedingt eine Anreicherung. Denn sie bedeutet zugleich eine Verengung und Verkleinerung des reichen Stoffes. Durch die wohldosierte Kraft und das konzentrierte Ensemble verfügt dieses „Faust“-Projekt aber auf jeden Fall über großes theatrales Potenzial. Die mich umgebende Schulklasse in der Zweitvorstellung war allerdings mit der bewussten Ferne von der klassischen Vorlage deutlich überfordert.