Foto: Die Großherzogin von Gerolstein (Romelia Lichtenstein) applaudiert Fritz, dem Sieger der Schlacht (Alexander Geller) © Theater, Oper- und Orchester GmbH, Falk Wenzel
Text:Roberto Becker, am 9. Dezember 2018
Wellen von Offenbachiaden werden über das Land fegen. Der 200. Geburtstag des Operettenkönigs Jaques Offenbach am 20. Juni 2019 ist allemal ein guter Grund, ihn in den Spielplänen zu bedenken. Seine letzte Oper „Hoffmanns Erzählungen“ hat einen Stammplatz im Repertoire. „König Karotte“ und die „Die Rheinnixen“ sind längst veritable Objekte für Ausgrabungsehrgeiz. Zum Kürprogramm aus dem reichen Erbe des Kölner Wahlfranzosen gehören aber für jedes Opernhauses seine Operettendauerbrenner, von „Orpheus in der Unterwelt“ über „Die schöne Helena“ und das Pariser Leben bis zu seiner Blaubart-Version: alles willkommene Lockerungsübungen für Orchester, Ensemble und Zuschauer. Und alles weit über dem Musical-Niveau.
Die Oper in Halle reiht sich jetzt mit einer „Großherzogin von Gerolstein“ schon mal mit ein. Das 1867 im Paris der Weltausstellung uraufgeführte und für Wien kurz darauf noch mal überarbeitete Werk gibt es in Halle in einer deutschen Textfassung von Julius Hopp und Frank Harders-Wuthenow. Was natürlich satirische Ausfallschritte in Richtung inszenierter Gegenwart einschließt. Man hätte dennoch die verweigerten Übertitel manchmal gut gebrauchen können. Aber was soll‘s.
Funktioniert hat dieser Operettenkrieg an der Saale hellem Strande dennoch fabelhaft. Schon, weil Kay Stromberg die Fassungen musikalisch der hiesigen Bühnenfürstin Romelia Lichtenstein in die gereifte, aber auch im „leichteren“ Fach gut funktionierende Soprankehle geschneidert und im Graben die Staatskapelle mit ziemlichem Schwung dirigiert hat. Es macht einfach Spaß, die Musiker lostoben zu hören, wenn sie am Anfang noch etwas nach Meyerbeer klingen und sich dann ins Offenbach-Zeug legen und leitmotivisch den Degen ziehen. Oder wenn Lichtenstein mit komödiantischer Wucht eine Fürstin aufs Parkett legt, die sich als barocke Landesmutter in den politischen Niederungen und Intrigen einer bunten Mischung kommunaler Stadträte wiederfindet. Klemens Kühn hat sich für seine Bühne nämlich vom Festsaal des Stadthaues inspirieren lassen, wo die Stadtwappen und ein eingespieltes Video (Konrad Mühe) die Hofintrige mit einem Rückblick auf den Umzug zur 1000. Jahrfeier der Stadt vor 57 Jahren unzweideutig mitten unter uns verortet.
Die Fraktionen, in die der Chor aufgeteilt ist, sind ins Groteske verlängert, aber von Schwarz über Grün und hellem bis dunklem Rot immer noch identifizierbar. Alle mit reichlichen Profilneurosen versehen und erstmal aus Prinzip für oder gegen irgendetwas, ganz so wie im richtigen Leben in Halle und anderswo. Diesmal sind sie vor allem gegen das Eingreifen der Landesmutter in die Realpolitik. Und da der Bräutigam Prinz Paul (Musa Nkuna), den diese Stadträte für ihre Fürstin vorgesehen haben, zunächst mal nicht auf deren Gegenliebe trifft, organisieren General Bumm (zackig: Rolf Scheider) und Baron Puck (Kristian Giesecke) einen kleinen Feldzug gegen die Nachbargemeinde, respektive den Nachbarstaat. Als es mit dem von der Fürstin persönlich gesungenen Regimentslied losgehen soll, verguckt die sich in den schmucken, aber ein bissl begriffsstutzigen Soldaten Fritz (mit Alexander Geller idealtypisch besetzt). Den befördert die Großherzogin im Schnellverfahren bis zum General und unterstellt ihm die Truppen.
Dass er tatsächlich gewinnt, ist die Überraschung. Dass er den Preis, den er dafür bekommen soll (nämlich die Großherzogin selbst), nicht in Betracht zieht, das Malheur. Er kapiert nicht, dass seine Chefin sich selbst mit der hochgestellten Dame meint, die in ihn verliebt sei. Und dann ist da ja auch noch Ludmilla Lokaichuk, seine Wanda von den Grünen, die die älteren Rechte geltend macht. Es kommt zwar nicht zum Äußersten bei der Mordintrige, die nun alle in ihrem Einfluss Bedrohten schmieden, aber zu ein paar operettigen Unannehmlichkeiten für Fritz. Dessen Aufstieg wird genauso schnell, wie er erfolgt ist, wieder zurückgenommen und ihm wird seine Hochzeitsnacht ausgerechnet mit Heino vermasselt. Sein „An der Saale hellem Strande“ lässt sich mit keiner Fernbedienung ausschalten. Am Ende geht alles gut aus. Eine ganz große Koalition, bei der zum Schluss jeder seins macht.
Annegret Hahn hat ihren Ausflug ins Musiktheater mit leichter Hand und Lust an der Komik bis zur Groteske umgesetzt. Ihre späte Rückkehr nach Halle, wo sie als Intendantin ein Jahrzehnt lang das Jugendtheater mit so großem Erfolg geführt hat, dass das Schauspiel in dessen Schatten geriet, war wohl auch eine verdiente späte Genugtuung für den etwas unrühmlichen Abgang damals. Sie wird in den unsäglichen Auseinandersetzungen, die derzeit zwischen den künstlerischen Leitern von Schauspiel und Oper Matthias Brenner und Florian Lutz und dem Geschäftsführer der TOOH Stefan Rosinski erneut hochkochen, einiges wiedererkannt haben. Sie hatte ihrerzeit schon ihre Probleme mit dieser merkwürdigen TOOH-Konstruktion, die im Grunde Destruktion befördert. Aber das ist weniger eine Operette zum Schmunzeln, als ein Drama zum Verzweifeln.