Foto: Australische Familienaufstellung in deutschsprachiger Erstaufführung in Mainz. Ensembleszene mit Vincent Doddema als Mark im Vordergrund © Andreas Etter
Text:Alexander Jürgs, am 24. Februar 2018
Hervorragend gespieltes, dicht gebautes australisches Familiendrama in deutscher Erstaufführung.
Eine Mutter, ein Vater, vier Kinder: die Familie Price. Der Garten, Erinnerungen, die gemeinsamen Abendessen, der neue Kaffeeautomat, der Laubbläser. Mit seinem Stück „Dinge, die ich sicher weiß“ nimmt der australische Dramatiker Andrew Bovell eine Mittelschichtsfamilie mit all ihren kleinen und großen Problemen unters Brennglas. Am Mainzer Staatstheater wurde sein 2016 uraufgeführtes Stück nun zum ersten Mal in deutscher Sprache gezeigt.
Auf einer kargen, leicht abgeschrägten Bühne, einem weißlackierten Holzplateau im düsteren Raum, lässt K.D. Schmidt, leitender Regisseur in Mainz und gemeinsam mit Sylvie Berndt sein eigener Bühnenbildner, diese Familie auftreten. Sehr klinisch, sehr schick wirkt das Setting, die blaue Gartenarbeitsschürze von Vater Bob passt perfekt zum Hosenanzug seiner Ehefrau Fran, und auch die Kinder sind in glänzend-leuchtendem Ultramarinblau ausstaffiert. Eine Farbe als Erkennungsmerkmal, als Zeichen des Zusammenhalts. Sie können nicht miteinander, sie können nicht ohne einander. Streit und Versöhnung gehören dazu, sind schon seit vielen Jahren Alltag. Und während der Vater die Töchter Pip und Rosie vergöttert, nimmt die Mutter die Söhne Mark und Ben unter ihre Fittiche. Ihre Härte gegen die Mädchen dagegen geht an die Schmerzgrenze.
Schon in der ersten Szene deutet sich die große Katastrophe an. Bob steht da, das Telefon klingelt und man weiß ganz genau, dass die Nachricht, die er empfangen wird, nur eine schlechte sein kann. Doch bis man schließlich erfährt, was hinter dem Anruf steckt, werden erst einmal jede Menge andere Konflikte ausgetragen. Rosie, das Nesthäkchen, hat sich auf einer Weltreise in den falschen Mann verliebt. Pip dagegen hat den richtigen Mann, der sich auch rührend um die gemeinsamen Kinder kümmert, doch ihre Liebe zu ihm ist kaputt gegangen. Mark fühlt sich unwohl in seinem Männerkörper, eine Hormonbehandlung soll aus ihm eine Frau machen. Der jüngere Ben, ein windiger Asset Manager, hat die Bank, für die er arbeitet, betrogen. Illegal hat er Geld abgezweigt, für Drogen, für Statussymbole, doch nun fliegt sein Betrug auf. Und dann ist da noch ein lange gehütetes Geheimnis, das enthüllt wird: Fran hatte einmal damit gespielt, Bob zu verlassen, hatte Geld gespart – als „Ausstiegssicherheit“. „Gab es einen anderen?“, fragt Bob sie vorwurfsvoll – und ihr Schweigen am Bühnenrand verrät alles. Mit dem anderen hat Fran immer Leonard Cohen gehört. Dessen Stück „Famous Blue Raincoat“ zieht sich als Motiv durch den Abend.
Andrew Bovell erzählt von seiner Familie Price in einer klaren, starken Sprache. Sein Stück ist geradeheraus, ohne dabei auf den Humor zu verzichten, wird erzählt wie ein Film. Manchmal steckt vielleicht ein Schicksalsschlag zu viel in Bovells Geschichte, doch ins Seifenopernhafte gleitet sie trotzdem nie ab. In seiner Regiesprache greift K.D. Schmidt das Tempo des Stoffs auf, seinen Darstellern lässt er viel Raum zum Spielen. Und das Ensemble ist stark, die Figuren und ihre Eigenarten nimmt man den Darstellern jederzeit ab. Schmidt setzt in seiner schnörkellosen Inszenierung ganz auf sie.
Am Ende nimmt Bob Price den Telefonhörer natürlich doch ab. Seiner Frau, die einen Nachtdienst im Krankenhaus hatte, sind auf der Fahrt über die Autobahn für einen kurzen Moment die Augen zugefallen. „Bitte, lieber Gott, nicht sie“, sagen die Kinder der Reihe nach. Und man begreift: Das Drama der Familie Price hat gerade erst begonnen.