Foto: Maryam Abu Khaled, Aysima Ergün in "Operation Mindfuck" am Maxim Gorki Theater Berlin © Ute Langkafel MAIFOTO
Text:Barbara Behrendt, am 29. Mai 2022
Alice kauert in der hinteren Ecke des verspiegelten Bühnenkastens und filmt sich mit ihrem Handy. Sie hält es so nah vors Gesicht, dass nur ihre braunen Augen aufgenommen und groß projiziert werden: „Wenn Sie dieses Video erhalten haben und es jetzt ansehen, dann wissen Sie, dass Sie beobachtet werden … und was ich Ihnen mitteilen werde, könnte Sie in Gefahr bringen und das tut mir leid. Es ist meine Schuld!“
Innerhalb dieser Rahmenhandlung erzählt Alice, was so schrecklich aus dem Ruder gelaufen ist. Alles beginnt mit ihrer Kommilitonin Maze, die plötzlich mit einer sündhaft teuren Handtasche auftaucht. Kein neuer Lover ist der Grund, sondern ihr Job in einer Troll-Fabrik. Jeden Tag denkt sie sich Fake-News aus, mit denen sich Millionen Clicks generieren lassen. Denn: Menschen glauben viel lieber an aufregende Verschwörungsmythen, als sich mit der profanen und doch hoch komplizierten Wirklichkeit auseinanderzusetzen, die nie schwarz-weiß ist.
Alice steigt mit in die Troll-Industrie ein und entpuppt sich als Naturtalent: „Finnland gibt es nicht. Die Japaner haben ,Finnland’ erfunden, damit sie das Meer leerfischen können und dann die Wale über die Transsibirische Eisenbahn nach Japan transportieren – getarnt als Nokia-Produkte.“ Vom Kommerz-Troll steigt sie in die Abteilung der Polit-Verschwörung auf. Ein Waldschrat, früher mal das Gesicht der Kinderschokolade, soll zum Bundeskanzler gepimpt werden. Der „Politikberater“ Max benutzt den tumben Herrn Kinder-Kind dabei wie eine Anziehpuppe: setzt ihm eine Boris-Johnson-Perücke auf, steckt ihn in einen hässlichen Anzug und befreit ihn von seinem Dialekt. Um ihn dann an eine Partei zu verkaufen. An welche? Das ist egal. „Haben Sie irgendwelche Vorlieben?“, fragt Max. Nein, antwortet Kinderkind, er sei ja kein politischer Mensch. „Und das ist Ihre größte Qualität. Behalten Sie es bei.“
Gut gespielte Oberflächlichkeit
Alice macht den Pseudo-Politiker mit Fake-Videos, in dem Kinder-Kind betroffen durchs überflutete Land stapft, zum Social-Media-Star und versteht zu spät, wie sie damit die Demokratie aushöhlt. Ja, so verlogen ist die Politik und so dumm sind die Menschen! Das legt der Abend mit seinem extrem simplen Plot tatsächlich nahe. Wenn Yael Ronen Stücke schreibt, sind das im besten Fall dialektische, alle Motive und Figuren hinterfragende Dialog-Achterbahnen. In Zusammenarbeit mit Dimitrij Schaad ist nun ein didaktisches Drama entstanden, das die Geschichte der Verschwörungstheorie in Wikipedia-Format abhandelt, beginnend mit dem Illuminatus-Orden 1870. Und dessen Figuren flachste Papp-Kameraden bleiben, deren einzige Aufgabe darin besteht, den Plot voranzutreiben.
Ronen ist Regie-Profi genug, das Stück mit einem gut aufgelegten Ensemble als temporeiche Komödie aufzumotzen. Wie lebensgroße Marionetten reißen die Schauspieler*innen manchmal die Arme in die Höhe und bewegen nur die Lippen, während Aysima Ergün als Alice vom Bühnenrand die Geschichte erzählt. Und Till Wonka als sächselndes Kinderschokoladen-Kind kann bestens Komödie.
Nur: Was will uns dieser Abend eigentlich sagen? Dass die Politik genauso fake und verlogen ist, wie Rechtspopulisten und Verschwörungstheoretiker das schon immer geahnt haben? Dass Nachrichten per se Fake News sind? Ronen und Schaad sitzen eben jenem Weltbild auf, dass sie (das sei ihnen wohlwollend unterstellt) versuchen zu entlarven. Im besten Fall erfährt man, dass Verschwörungstheorien nicht zu fällig vom Himmel fallen, sondern oft zentral gesteuert werden. Das wusste das halbwegs informierte Publikum allerdings vorher schon. Ganz so doof sind sie ja vielleicht doch nicht alle, diese Menschen.