Foto: Niklas Herzberg ,Julia Friede und Norman Grüß in "Die Globen" am Theater Bielefeld. © Philipp Ottendoerfer
Text:Jens Fischer, am 15. November 2011
Sie sind das, was Shakespeares Dänenprinz immer vorgeworfen wird: Sie wissen, dass was faul ist im Staate und bleiben trotzdem handlungsgehemmt. Zögern, zaudern herum in ihrem Gefängnis aus Ironie. Kriegen nicht mal ein „Bin verliebt in dich“ heraus, wenn’s einfach mal gesagt werden müsste, halten nie so lange still, bis ein Kuss mal mundgerecht platziert ist. Tun immer cool bis zynisch, haben aber wahnwitzige Angst, sich zu etwas zu bekennen, also angreifbar, verletzlich zu werden. Fühlen sie sich doch bereits verletzt, diese Jungmenschen zwischen Schulende, Studium und Berufsstart. Zwar nicht wie Hamlet, dem der Vater gemordet wurde, aber durch das Fehlen an Eindeutigkeiten: Alle Sinnangebote wirken irgendwie gleichwertig. Lähmende Unsicherheit.
Vor dreizehneinhalb Jahren brachte David Gieselmann sein Stück „Die Globen“ in Berlin zur Uraufführung, jetzt erlebt es als „Entdeckung“ am Theater Bielefeld seine Zweitaufführung. Und überrascht. Ein Autor, der inzwischen bekannt dafür ist, lakonische Dialoge aus intelligent-verrückten bis herrlich albernen Pointen zu schmieden, der Wirklichkeiten porös werden lassen, blitzschnell Stile wechseln kann und die Mechanik pechschwarzer Komödien bestens bedient, versteht es in dem Vier-Personen-Stück höchst sensibel und präzise, die Hamlet-Natur der Generation Praktikum zu porträtieren.
Ry, Liv, Bimm und Fischmehl leben in einer Art WG, die sie als Schutzzone gegen alles da draußen pflegen, was sie hassen: die große Kleinstadt, in der sie festsitzen. Sozusagen Darmstadt, wo David Gieselmann groß geworden ist, das er in den Neunzigern aber verlassen hat. Was das Vier-Freunde-Team nicht schafft. Ihr Leben besteht aus dem Wunsch, handeln zu wollen, dem Wissen, handeln zu müssen – und der Tatsache, den Stillstand als das höchste Glück zu feiern. Dazu braucht Ausstatterin Julia Rösler in Bielfeld kein großes Bühnenbild, ein paar Regalerinnerungsstücke aus dem Sperrmüll genügen. Darin können sich die Figuren mal verkriechen oder zu zweit rumlümmeln. Auffällig klischeehaft dazu ihre Individualität behauptenden, letztlich aber trendidiotischen Secondhand-Klamotten. Zudem pflegen sie auch irgendwelche Image-Ticks und halten das eigene Innenleben für ein derart sensibles System, dass davon aus purem Selbstschutz nichts preisgegeben werden darf.
Dann findet Ry eine Pistole. „Bis zu der Wumme hier war bisher alles Schwachsinn“, erkennt er, bedroht Bimm und Liv. Fischmehl ruft „Achtung: Realität!“ und filmt. Ry drückt ab – es ist zwar keine Patrone im Lauf, aber alle wissen, er hat, er hätte geschossen, er wollte wirklich schießen. Ry schaut ziemlich verdattert, was da so für Energien in ihm um Freigang bitten. Fischmehl schaut begeistert, diesen authentischen Moment mit der Digicam eingefangen zu haben. Um das Erlebnis zu verdrängen, spielen die vier um sich selbst kreiselnden Egoisten es wieder und wieder nach: immer absurder, verblödelter.
Ganz vorsichtig entwickelt Regisseurin Simone Younossi das Stück aus den anfänglich forsch verlogenen Selbstbehauptungen über das Outing per Pistole in die Lethargie, verzichtet auf einen jugendaffinen Soundtrack – und setzt ganz auf die Darsteller. Die mit der skizzenhaften Vorlage allerdings zu kämpfen haben. Gerade wenn in ihrem Spiel eine Figur so richtig lebendig wird, aufblüht, ist die Szene, das Stück schon vorbei. Ry wird dann der einzige gewesen sein, der wenigstens mal kurz wegging – um wiederzukommen. Was die Regisseurin noch mit der Moral von der Geschichte garniert, indem sie seinen Hass-Prolog auf die Provinz als Epilog wiederholen lässt. 30, 40 Jahre später wird Ry wohl immer noch lamentieren und warten, dass mal was passiert – allerdings dann in der Aufführung eines Tschechow-Stückes.