Foto: Zweimal vier Akteure aus Europa © Ilja Mess
Text:Detlev Baur, am 4. Oktober 2019
„Identität Europa“, das trinationale Projekt, dessen Premiere am Nationaltheater Weimar ausgerechnet am Tag der Deutschen Einheit Premiere hatte, ist ein Projekt zwischen Größenwahn und Kleingeistigkeit. Die Koproduktionspartner, das TAK Liechtenstein und Les Théâtres de la Ville de Luxembourg, sind nicht die ganz glamourösen europäischen Partner; die Studiobühne unter dem Dach des Theaters in Weimar lässt auf ein Nischenprodukt schließen und der Titel klingt eher bürokratisch als attraktiv. Ist zudem die Form des Monologs nicht auch eine etwas verstaubte Form des Theaters? Gleich acht Monologe hintereinander klingen nach viel mühsamem Vorspiel mit wenig Unterhaltungswert. Ist der zweistündige Abend also ein europäischer Rohrkrepierer, der viel Hin- und Herreisen dank großzügiger Förderung, aber wenig Theater bringt?
Acht Autorinnen und Autoren – aus Deutschland, Estland, Kroatien, Liechtenstein, Luxemburg, Rumänien/Ungarn, der Schweiz und Spanien – haben je einen etwa 15-minütigen Auftragstext zur Identität Europas geschrieben. Guy Helminger (Luxemburg) lässt eine Schauspielerin über ihre Aufgabe in einem Europa-Monolog-Improvisation räsonieren. Dieser Beginn ist eine ordentliche, allerdings nicht sonderlich bestechende Einführung in den Abend. Die in Liechtenstein geborene Schauspielerin Christiani Wetter spielt eher solide als packend eine Frau im Gewand aus Europaflagge. Bühne und Kostüme von Alexander Grüner sind als Rahmen der acht Szenen variabel (und dabei reisetechnisch einfach) gehalten, an beiden Seiten sind je drei Wandelemente aufgestellt, die mit elastischem Stoff ähnlich einem Lattenrost oder einer Gummiwand das Spiel einbetten.
Katharina Hackhausen liefert dann in Andra Teedes (Estland) Ansprache einer Frau an ihren Verlobten, den sie hiermit verlässt, weil sie doch frei bleiben möchte, eine wunderbare Menschenstudie; doch hat der Monolog im europäischen Rahmen natürlich auch eine metaphorische Ebene. Die wird in Rebecca C. Schnyders (Schweiz) Monolog einer Braut noch wesentlich deutlicher. Thomas Beck ziert sich als umworbenen Dame Helvetia wenig privat, sondern vielmehr als metaphorische Gestalt; das ist amüsant, allerdings eher kabarettistisch als dramatisch. Ganz anders im letzten Auftritt vor der Pause: Hier überzeugt das (in der Schweiz geborene) Weimarer Ensemblemitglied Krunoslav Sebrek mit intensivem Spiel der Ansprache des Vaters an den Sohn. Dirk Lauckes (Deutschland) Text überzeugt – passend zum Tag der Deutschen Einheit – in seiner psychologischen Dichte und unerbittlichen Analyse der Unterdrückung des DDR-Erbes in der offiziellen Geschichtsschreibung. Im Union Berlin-Trikot zeigt Sebrek einen Menschen, dessen zornige, aber keineswegs hasserfüllte Aufforderung an ein aufmerksames Klassenbewusstsein das Publikum direkt anspricht. Der Autor und sein Geschöpf scheinen sich da ziemlich einig zu sein – und doch wird dieser sehr ernste Text ironisch aufgebrochen, wenn der Papa am Schluss feststellen muss, dass der Sohn sich eher auf den Computer als auf die Weisheiten des Vaters konzentrierte.
Daniel Batliner (Liechtenstein) hat – damit eröffnet der zweite Teil – wiederum eine verspielte Allegorie auf die polygame Frau Europa geschrieben. Katharina Hackhausen zeichnet das witzige Porträt einer verkaterten, ehemals umschwärmten Frau. Die geflohenen Ehemänner müssen erst noch verhandeln, ob sie zu ihrer Herzensdame zurückkehren werden. Clàudia Cedó (Spanien) zeigt dann einen Regisseur auf der Probe, der in Rassismusfragen (akustisch eingespielte) Nachhilfe am Telefon erhält. Thomas Beck hat die etwas undankbare Aufgabe, erst zu lavieren und dann dem moralischen Druck nachzugeben: Die zentrale Rolle soll schließlich auch mit einem schwarzen Schauspieler besetzen werden. Wesentlich dankbarer ist die Rolle der Piri in Csaba Széklys (Rumänien/Ungarn) dramatischer Erzählung. Christiani Wetter kann hier mit ausgespieltem Tausch von Perücken eine zugleich melodramatische wie metaphorische, spannende Geschichte eines Waisenkinds auf die Bühne bringen, das zwischen ungarischer, rumänischer und ungarisch-nationalistischer Identität wechselt, bis es schließlich der Mutter begegnet, die die junge Frau über ihre wahre Roma-Identität aufklärt. (Das kleine Stück leistet im Kern – und dramatisch ähnlich wirkungsvoll – dasselbe wie Wajdi Mouawads Stück der Saison: „Vögel“.) Den Abschluss des Oktetts bildet ein weiterer starker, von der Identität der Hauptfigur her eher abstrakter Text, von Vedrana Klepica (Koratien). Krunoslav Sebrek schockiert durch seine Anleitungen zum Aufbau eines Kriegs-Entwicklungs-Unternehmens via Populismus und Verunsicherung. Am Ende ist ihm das Unternehmen zu mühselig. Es bleibt dafür eine vage Hoffnung auf das anfangs im Text erwähnte plötzliche Aufblühen von Agaven oder Bambus, nach Jahren der blütenlosen Tristesse. Die Natur steht sozusagen am Ende des Metaphern-Reigens. Spätestens durch diesen finalen Monolog entsteht über die begrenzten Perspektiven der Einzelnen hinaus auch eine innere Verbindung mit anderen Krisenszenarien des Abends. Allein der Wechsel der unterschiedlichen kleinen Welten, die die Kurzdramen unter einem gemeinsamen Rahmen aufmachen, begeistert das Publikum.
„Identität Europa“ ist ein kleines europäisches Theaterjuwel, das in der aufgeteilten Regie von Katrin Hilbe und Rafael D. Kohn starkes Spiel und starke Texte bietet, die auch dank der klugen Dramaturgie untereinander in einen Dialog treten. Die Monologe sind somit mehr als ein Aufruf zum internationalen Austausch, sie sind der Beginn eines Dialogs, in aller Bescheidenheit.