Foto: Dascha Ivanova (Daria) und Germaine Solberger (Olenka) in „Hundepark“ © Lena Bils
Text:Detlev Baur, am 10. Dezember 2022
Anfang des Jahres erschien in deutscher Sprache der Roman „Hundepark“. Die finnisch-estnische Autorin Sofi Oksanen beschreibt darin eine Art europäische Familie: Im Mittelpunkt stehen die beiden ukrainischen Frauen Olenka und Daria. Beide hatten in ihrer Heimat erfolgreich in einer Agentur für Eizellenspenden gearbeitet, als Spenderinnen und als Organisatorinnen des Handels mit Elternschaft, wo sie aus biologischen Gründen eigentlich nicht möglich ist. Der Psycho-Thriller beschreibt die postsowjetische Ukraine zwischen Sehnsucht nach westlichem Reichtum und brutaler Gewalt; die in illegalen Kohleabbau involvierten Väter der beiden aus dem Donbass stammenden Frauen wurden umgebracht; ein wichtiger, ausnahmsweise nicht-westlicher Kunde erweist sich dann als Verantwortlicher für deren Tod. Daria und Olenka sind wegen dieser familiären Verwirrungen aus dem Geschäft ausgestiegen; Daria will nun sogar die mit ihren Eizellen entstandenen Kinder zu sich holen. Sie überrascht zu Beginn des Romans Olenka in Helsinki, die nur als Zuschauerin am Hundepark eine durch ihre Hilfe gewachsene Familie beobachtet. Das ist grob beschrieben der Inhalt von „Hundepark“.
Komplexe Geschichte
Der großartig geschriebene Roman verknüpft diverse Zeitebenen und legt dabei die Zerrissenheit und Verletztheit der Frauen immer weiter offen. Allein diese Geschichte nachzuerzählen, ist ein komplexes Unterfangen. Simone Sterrs Uraufführungsinszenierung schafft es in knapp drei Stunden, die zentralen Erzählstränge konzentriert und nachvollziehbar aufzuklappen; allerdings bleibt auf der recht weiten Bühne (Bühne und Kostüme: Sabina Moncys) wenig Zeit, die auf sechs Darsteller:innen verteilten Figuren über dramaturgische Platzhalter hinaus zu entwickeln. Trotz vierköpfiger Girlsband (Darja Bilenko, Kate Bilenko, Erika Ehberger, Marie Shuta) im ausdrücklich billigen Glamouroutfit mit schnulzigen ukrainischen oder deutschen Liedern entsteht atmosphärisch kaum ein Eindruck von der Atmosphäre im uns nahen und doch fernen Osten, der in den letzten Monaten zumindest oberflächlich deutlich näher ins Blickfeld des Westens gekommen ist. Germaine Sollberger als Olenka und Dascha Ivanova als Daria fungieren zunächst vor allem als epische Berichterstatterinnen ihrer selbst. Die Gesellschaft, in der nur „klasse Mädchen“ zählen, bleibt ein Zitat. Assistiert werden sie von Zelal Kapçik, Levent Kelleli, Ben Janssen und Roman Kurtz, die kurzzeitig die Erzähler-Rolle übernehmen, in der Band mitwirken oder Figuren aus der ukrainischen Vergangenheit der beiden Heldinnen übernehmen. Dabei entstehen wenige eindrückliche Szenen, obwohl die Konstruktion auf dem hinteren Teil der Bühne mit einem an diversen Seilzügen hochziehbaren großen Tuch starke Bilder auf der Bühne ermöglicht; doch auch für das „Abhängen“ auf halb hochgezogener Unterlage bleibt nur wenig Zeit.
Starkes offenes Ende
So gelingt der Inszenierung eine bemerkenswerte Nacherzählung, jedoch wenig Vertiefung oder gar Kontrastierung des Textes. Nach der Pause, wenn sich die Aufarbeitung der erschreckenden letzten Jahre mit den gefährlichen Plänen Darias in der Gegenwart zum offenen Ende einer komplexen Geschichte verbindet, gewinnen Daria und Olenka Profil. Zum einen, weil das Spiel als Bühnenerzählung funktioniert hat: In fast geschwisterlicher Abneigung sind beide auch dadurch verbunden, weil sie der finnischen Familie im Park jeweils ein Kind „geschenkt“ haben. Zum anderen bekommen die beiden Protagonistinnen nun mehr Raum, ihre Figuren auf der weiten Bühne auszuspielen. „Ich würde nicht fortlaufen. Nicht schreien. Ich würde nur tief und ruhig atmen“, sind die letzten Sätze – der Horror geht weiter.