Foto: Heile Welt in der Volksbühne: "Coming Society" © Volksbühne/Julian Röder
Text:Barbara Behrendt, am 18. Januar 2019
Eines kann man Susanne Kennedy nicht vorhalten: Dass ihre künstlerische Handschrift verwechselbar wäre. Gummimasken und Stimmen, die vom Band kommen, machen die Schauspieler meist unkenntlich – es sind Avatare, die zu Kennedys Faszination für zukunftsfrohe Science-Fiction-Szenarien passen. Die „persönliche Reise“, die die Volksbühne ankündigt, beginnt im Zuschauerraum. Das Publikum schaut auf ein blinkendes Tor auf der Bühne, das an eine Zeitmaschine erinnert, Durchgang in eine andere Realität. Eine weichgespülte Computerstimme erschallt aus dem Off und fragt, was uns in diese virtuelle Welt geführt habe. Was uns dazu gebracht habe, in diesem Körper, diesem „Avatar“ das Spiel, unser Leben, zu spielen. Dieses sei unendlich – sobald unsere Figur sterbe, bekämen wir eine neue: „You are the player.“ Der Eiserne Vorhang hebt sich, legt den Blick frei auf eine knallbunte Bühne, die wir betreten sollen: „Welcome. Mind your step.“ Auf diesem Parcours schlendern wir die nächsten 75 Minuten ziellos herum.
Grell und künstlich ist diese Welt. Als wäre ein Knallbonbon explodiert oder der Kopf beim psychedelischen Drogentrip. Auf Bildschirmen wiegen sich computeranimierte Bäume im Wind. Unterschiedliche Räume und Nischen sind mit quietschbunten Mustern bedeckt. Eine Höhle wirkt wie ein Vulkan, die Wände mit feuerrotem Magma ausgeschlagen. Im Innern sitzt ein alter Mann in durchsichtigem Regenmantel und scheint an seiner Erleuchtung zu arbeiten. Ein Bild wirkt wie das einer Mumie, ein anderes wie ägyptische Höhlenmalerei. Die Tapete in einer kleinen Pyramide erinnert an menschliche Wirbel, dann wieder schaut man auf Gesteinsbrocken, die durchs All zu fliegen scheinen. Eine optische Reizüberflutung, gemischt aus alter Kulturwelt und Science-Fiction, erschaffen vom Künstler Markus Selg, der schon früher mit Kennedy gearbeitet hat. Dazu dreht sich die Bühne langsam und konstant – das erzeugt einen leichten Schwindel und verstärkt das Gefühl einer Reise durch Raum und Zeit.
Sonst geschieht nicht viel. Die Schauspieler tragen diesmal keine Masken, wirken aber dennoch roboterhaft, unmenschlich, kalt – es liegt am Klebeband, das die Haut um ihre Augen nach hinten zieht wie bei einem extremen Face-Lifting. In schrillen Leggins oder seltsamen Plastikanzügen sitzen sie in den Kammern und bewegen ihre Lippen zum Text aus dem Off. Nur Dieter Rita Scholl schreitet esoterisch beseelt über die Bühne und raunt einem ein Nietzsche-Zitat zu. Erst gegen Ende kommt mehr Bewegung in die Spieler, Füße werden gesalbt, Avatare von der „Inkubationsstation“ bedeutungsschwer ins nächste Leben getragen.
Menschen der Zukunft sollen diese Roboter darstellen, Kennedy bezeichnet sie als Schamanen, als Gastgeber oder Heiler. Ihre Worte sind, wie schon bei „Women in Trouble“, Kennedys erster Arbeit an der Volksbühne, die unter der Leitung von Chris Dercon zustande kam, hanebüchen esoterisch. Der Weg zum Licht soll eingeschlagen, die Entwicklung des Bewusstsein durch Wiedergeburt vorangetrieben werden. „There is only one way for you: It is a total, complete and unconditional surrender.“ Der Pfad durch die Widerstände des Lebens führt, heißt es, nur durch die bedingungslose Kapitulation. Alles muss für das Göttliche geschehen, alle Gefühle und Bindungen losgelassen werden.
Für die Erkenntnis, der alte Mensch müsse sich selbst überwinden, zieht Kennedy Nietzsche heran – innerhalb dieses Psycho-Trips eine höchst abenteuerliche Verortung des großen Denkers. Kennedy kreiert eine abstruse, assoziative Mischung aus pseudophilosophischen Geraune und spiritistischer Erweckungssitzung. Komplett auf Englisch – und es ist wahrlich nicht das Schlechteste, dabei nicht jedes Wort zu verstehen.
Man mag es kaum glauben, doch für Kennedy ist diese „Coming Society“ eine Wunschwelt. Mit geradezu befremdlichem Optimismus beschwört sie in Interviews die „ungeahnten Möglichkeiten“ der Technikwelt, die uns womöglich bei der „Transformation“, beim „Wachstum“ unseres Selbst behilflich sein könnten. Zu sehen ist jedoch ein Schreckensszenario. Menschen, die ihr Menschsein, ihre Individualität, ihre Gefühle überwunden haben – eine gleichgeschaltete Brave New World, wie sie Aldous Huxley nicht besser hätte eralbträumen können.
Wie auch immer man Kennedys Weltsicht bewerten mag – das Problem dieser Installation, die deutlich besser im Museum aufgehoben wäre, liegt in ihrer theatralen Ereignislosigkeit und ihrem (analyse-)schwachen Text. Als sich Kennedy noch an Stücken von Marieluise Fleißer und Rainer Werner Fassbinder abarbeitete, zeigte sie neue Blicke auf die Figuren jener Zeit, Menschheitsstudien. Nun jedoch klittert sie ihre Texte aus, wie sie sagt, Fernsehserien, Airbnb-Inseraten und Internetschnipseln zusammen. Auch wenn die Bühne von Markus Selg zunächst beeindruckt – ein sogenanntes immersives Erlebnis, ein Eintauchen in diese Welt, findet nicht statt. Dafür haben die Avatare (zum Glück!) viel zu wenig mit uns zu tun.