Asmik Grigorian, die am selben Ort in den vergangenen Jahren als Salome gefeiert wurde, gibt eine umwerfende Chrysothemis, die nicht nur lebenspraktisch und überlebenstauglich, sondern auch jung und sexy ist. Aušrinė Stundytė in der Titelpartie sieht man die Verwüstungen der Jahre im Rachewahn nicht gleich an, aber sie beglaubigt alle Facetten ihrer Partie ohne Kraftmeierei mit bestechender Eloquenz und einer dunkel leuchtenden Zartheit. Bei Tanja Ariane Baumgartner ist auch Klytämnestra eine immer noch attraktive Frau, der man das Leben gestohlen hat. Sie singt nicht nur fulminant, sondern bewältigt auch den hinzugefügten gesprochenen Monolog (noch bevor der erste Ton erklingt) grandios. Darin bekennt sie sich zu ihrem Mord an Agamemnon und zu ihren Gründen.
Warlikowsky bezieht so wie einst Konwitschny in Kopenhagen und Leipzig die Vorgeschichte mit ein. Ausstatterin Małgorzata Szczęśniak hat aus den Gemächern des Palastes, die eigentlich als Orte des Mordens hinter die Bühne verbannt sind, einen verspiegelten, nüchtern-modernen Raum auf der Bühne gemacht. Ein Ort, der mal die Familienkonstellation, mal die Vorgeschichte, dann wieder Opferrituale und schließlich die von Orest Ermordeten einblendet. Am Ende schiebt sich dieser Palast über das lange Wasserbecken, das an den Mord an Agamemnon erinnert. Als Orest unerwartet vor Elektra steht, stehen die Mägde schon mit Blumen bereit und die Schwester hat ihn noch immer nicht erkannt. Das ist in der ausgeklügelt psychologisierenden Personenregie so deutlich wie das auf die Rückwand der verkleideten Felsenreitschule projizierte Blut zu den Todesschreien der Klytämnestra. Hermann Nitsch lässt grüßen. Dieses Blut ist die Nahrung einer Unzahl von Fliegen. Deren Bewegungschoreographie im Video entfaltet eine ganz eigenen Suggestionskraft zum eskalierenden Freudenjubel Elektras. Wie die Rachegöttinnen sind auch die Fliegen nicht von dieser Welt.
Nach kurzem Luftholen und dem kollektiven „Masken auf“ – berechtigter Jubel für Alle!