Keine Oper ohne Ovid. Vermutlich 1598 wird in Florenz Ottavio Rinuccinis „Dafne“ mit der Musik Jacopo Peris aufgeführt. Die Musik ist verloren, doch der Text überliefert, in dessen Prolog Ovid selbst auf die Bühne tritt. Als 1637 in Venedig das erste öffentliche Opernhaus eröffnet wird und in der Folge zahlreiche konkurrierende Opernunternehmen aus dem Boden schießen, werden die mythologischen Sujets dem Publikumsgeschmack angepasst, indem Szenen aus dem Alltagsleben eingefügt werden. Bevorzugt greifen die Librettisten auf Stoffe aus den „Metamorphosen“ zurück, an denen das Interesse der Komponisten auch nach vierhundert Jahren kaum nachgelassen hat. Die Orpheus-Opern sind Legion, gefragt waren aber auch Daphne, Danae oder Calisto.
Dichtung und Erotik
Man kann die Uraufführung am Stadttheater Gießen also durchaus geschichtsbewusst nennen, wenn das Who-is-Who nicht nur der Oper in einer neuen Version der „Metamorphosen“ als „Theaterproduktion aller Sparten frei nach Ovid“ auf die Bühne kommt. Tom Peukert hat für den Abschied der langjährigen Intendantin Cathérine Miville zehn Dramolette geschrieben, die prominente Mythen ins Heute übersetzen, und diese durch originale Ovid-Passagen ergänzt. Die Figur des Orpheus fehlt zwar, doch steht das Stück in guter Tradition, weil auch der Dichter selbst bzw. sein zeitgenössisches Alter Ego namens AVID als Erzähler auftritt. Aus der gesicherten Position seiner Schreibklause, einer übergroßen Glaskugel im Bühnenhimmel schwebend, versucht er, das Geschehen zu lenken, zu kommentieren und verschmilzt gleichzeitig mit den mythologischen Figuren. Denn der gutaussehende Künstlergott muss während seiner kreativen Phasen mehrere Kinder mit unterschiedlichen Frauen gezeugt haben und damit seinem Zeus immer ähnlicher geworden sein, was seiner Frau, nennen wir sie Hera, missfallen hat.