Marian Bulang als „Reichsbürger“ im gleichnamigen Stück von Annalena und Konstantin Küspert

Erschreckend stimmig

Annalena und Konstantin Küspert: Der Reichsbürger

Theater:Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen, Premiere:19.01.2022Regie:Stefan Wolfram

Er lebt „in eingetragenem Verhältnis“ mit der BRD – beim Wort „Homo-Ehe“ aber muss er spucken. Selbstverwaltung will er angeblich predigen, meint aber – und brüllt es am Ende auch: „Mein Wort ist hier Gesetz!“ Zu gern würde er das und alles andere in die eigenen Hände nehmen. Auf der Bühne des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters in Bautzen versucht er es schon einmal, in einem packenden Doku-Drama. An dessen Ende sollen alle Zuschauer, mit gelbem Band zwangsweise für die Sache eingespannt, sein wie er: „Der Reichsbürger“.

Hetze mit Einstecktuch

Marian Bulang trägt das Solo auf und über die große Bühne, als unheimliche Aufklärung. Adrett gekleidet wie sein Publikum – rotes Einstecktuch zum grauen Anzug – kommt er auf die Bühne. Er dankt nur wenig schleimig Intendant Lutz Hillmann und Chefdramaturgin Eveline Günther „für die Gelegenheit“ – und wird sie in den kommenden 70 Minuten reichlich nutzen. Er bringt Zuschauer dazu, ihre Pässe hochzuhalten oder, sich meldend wie in der Schule, als Beamte zu erkennen zu geben. Nur, um ihnen dann anhand von Grundgesetz und verschiedenen Vorschriften zu „beweisen“, wie nutz-, sinn- und würdelos sie in diesem Land leben und schuften, der ja gar kein Staat, sondern nach wie vor besetztes Land sei.

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Die Autoren Annalena und Konstantin Küspert zeichnen in ihrem Stück nicht nur die Worte, sondern auch die Mechanismen rechter Hetze nach – Fremdenhass, Antisemitismus, Rassismus befördern da nur das Gefühl eigener Überlegenheit. Das alles ist bekannt, man muss es hier nicht nachbeten. Mittlerweile haben sich „Reichsbürger“ – die den Staat ebenso ablehnen wie seine Gesetze – in allerlei Anti-Bewegungen eingereiht. Doch das tippt das Autorenduo nur an, und von Pandemie-Querdenker-Parallelen weiß der 2018 uraufgeführte Text logischerweise noch nichts.

Perfide Demagogie bloßlegen

Mit Marian Bulang in der Titelrolle gelingt es Regisseur Stefan Wolfram, das grundsätzliche Anliegen des Textes zu erfüllen, nämlich die Mechanismen dieser perfiden Rhetorik und Demagogie dar- wie bloßzulegen. Friedlich-freundlich beginnt Bulang als „Wilhelm S.“, erobert sich aber schnell die ganze, karge Bühne mit Rednerpult, Sessel und Tisch (Ausstattung: Katharina Lorenz). Vor allem die Rampe zieht ihn an. Von dort beginnt er, was er als „direktes Gespräch“ für später verspricht, aber umgehend anfängt: Umarmen, umgarnen, eintrichtern, festnageln, mit Worten vorerst. Bulang macht sogar die langen Tiraden über Besatzerstatus, Grundgesetz, widerliche Vorurteile halbwegs geschmeidig, nur um dann immer wieder freundlich den nächsten Giftpfeil abzuschießen. Die Zuschauer im Großen Bautzner Haus werden darüber immer stiller. Nur einmal gibt es leisen, aber deutlichen Widerspruch.

Dass diese Figur „Schlotterer“ heißt, ist ein eher billiges Nomen est omen; dass er sich beim Spendensammeln („gerne auf mein Konto“) lächerlich machen kann, hätte man streichen können oder sollen. Sonst aber gibt es nichts zu mäkeln an dieser Vorstellung eines Hetzers, den Bulang mit scheinbar kleinen Mitteln entwickelt: Das erst legere, dann selbstzufriedene Fläzen im Ledersessel, der zur Waffe gewandelte Zeigefinger, die leise, aber stetig steigende Aggression in Stimme und Haltung. Die Gebühren für seinen toten Hund bringen ihn auf die Palme; der Zustand der Welt, wie er sie sieht, treibt ihm schließlich die Waffe in die Hand – und lässt seine Augen glänzen. Dass Bulang seinen „S.“ den Hausherrn devot grüßen lässt, aber den Techniker, der seinen Auftritt erst möglich macht, nicht kennt, nur kommandiert, ist nur eines der bezeichnenden Details, die dieses Solo stimmig und erschreckend machen.