Die Männer (hier Zuhälter) sind multipel, die Frauen uniforme Wesen. Mehrere Darsteller spielen gleichzeitig mehrere Rollen und switchen zwischen ihnen. Androgyne Pagenhaarschnitte und Brillen passen für fast alles. Die vergeblich sich von den Prostitutionsgesetzen soziale Integration und Integrität versprechenden Frauen unterscheiden sich durch die Farben ihrer ausladenden Perücken. Es geht um ein Ur-Thema des Musiktheaters: das Leiden der Geschlechter aneinander. Aber hier wird widerlegt, dass M und W allenfalls zu D, aber nicht zueinander passen. Eine Frage der Fortpflanzung stellt sich nicht.
Die immer noch äußerst labile Ordnung bringt Clemens Meyer selbst ins visuelle Geschehen. Mit goldglänzendem Abendkleid sitzt er in einer Raumkapsel, mimt Moderatorenkompetenz, verströmt bedeutungsneutrale Plattitüden und stellt banale Quizfragen. Die Musik von Sara Glojnarić besteht aus Akkord-, Krach- und Melodiefragmenten. Sie fragt sich in ihren Konzepten, warum so viele rundum vernetzte Wesen so viel Sehnsucht nach den Sounds, Filmen und Massenkulturen der Vergangenheit haben. Autor und Komponistin geben selbst die Antworten: Wo alles im Fluss der Waren, Warenwerte und Wesenhaftigkeiten ist, lösen sich Identitäten auf. Statt wenig atmosphärischer Außen- und Wohnstudios spielt der Schluss des Musiktheaters „Im Stein“ im weißen Nebel der Visionen. Im Sinn des von Herbert Marcuses geprägten Begriffs der „repressiven Entsublimierung“ betreibt die Oper Halle mit ungeschminkter Offenheit Informations- und Aufklärungsarbeit: Erotische Freiheit ist gut, wenn sie turbokapitalistischen Zielen dient.
Das Vorwissen des digitalen Publikums setzt man voraus und zugleich arbeitet man an der Entsorgung vormoderner Theaterberufe. Was musikalische Leitung und Regie in diesem visuell-akustischen Tohuwabohu noch aus- und anrichten, scheint kaum mehr begreiflich. Natürlich haben die Korrepetitoren mit dem aus Schauspiel und Musiktheater gemischten Ensemble ganze und Bartholomew Berzonsky mit dem Opernchor unhörbare, aber wichtige Arbeit geleistet. Dieses ultrademokratische Theater, im dem alle benutzen und benutzt werden, braucht nicht länger charismatische Charaktere, sondern prototypische mechanische Spielfiguren. Die visuelle Umsetzung von Ausstatter Christoph Ernst bestätigt Vorurteile in ihrer scheußlichen Form, die Atmosphäre ist kalt. Die sängerischen Aufgaben sind deshalb meistens undankbar, die gesprochenen Texte sachlich und der Körpereinsatz des aus Schauspiel und Musiktheater gemischten Ensembles beträchtlich.
Jetzt schließt sich über diesen Initiativen vorerst der digitale Vorhang. Viele Fragen sind auch in diesem Kontext offen. Es bleibt das Gefühl des Dankes für die Herausforderung zu spannungsvoller Gedankenarbeit und starken nachdrücklichen Begegnungen.