Foto: Brecht (Uwe Schmieder) im Netz-Radio © Julian Röder
Text:Detlev Baur, am 3. Oktober 2019
Zuerst wird ausgiebig gegähnt. Für „Don’t be evil“, die neue Digital-Inszenierung von Kay Voges, hat Michael Sieberock-Serafimowitsch einen Guckkasten ins Zentrum der großen Bühne in der Berliner Volksbühne gebaut. Wenn, wie am Anfang und über weite Strecken der zweistündigen Inszenierung, dessen vordere Wand heruntergelassen ist, besteht das Bühnenbild nur aus einer breiten, hohen Wand. Und dort sind also anfangs Mitglieder des Ensembles und der Produktion in filmischen Gähnstudien zu beobachten. Doch diese Entspanntheit hält nicht lange vor. Schrille und laute Töne folgen, schnelle Bildfolgen und diverse Erzählstränge. Der rote Faden ist die virtuelle, digitale Welt, sind Internet und Cyberspace. Ein Girlie (Julia Schubert) kann das Durcheinander zwischen Plattformen, Netzgiganten, rechten und linken Strömungen auf den diversen Kanälen nicht zusammenbringen, ein Löwe (Manolo Bertling) fühlt sich als Couchplüschtier vor Tierfilmen in einer Identitätskrise, eine Schauspielerin (wieder Julia Schubert) besteht darauf, dass sie samt Stuhl ohne technische Verstärkung wirken kann – und wird zugleich durch Tonverfremdungen und Filmbilder neben dem kleinen Spielfeld ad absurdum geführt.
Solche Szenen spielen tatsächlich „in Echt“ im Spielkasten; sie haben eine gewisse szenische Kraft, leben aus dem Kampf zwischen analogem Spiel und technischem Rahmen. Im Wesentlichen tauchen aber nur zwei, rein in Selfie-Szenen vorgefilmte Darsteller als immer wiederkehrende Figuren in diesen zwei Stunden auf – angeregt durch einen russischen Bonnie-und-Clyde-Fall von 2016, wo zwei Teenager per Livestream Flucht, Entführung der Mutter und eigenen Tod ins Netz speisten und dabei von einer Netzgemeinde aus angefeuert wurden. In einer allzu langen Filmeinspielung wird in einer Art zeitgenössischer Walpurgisnacht die „Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace“ ausgespielt, mit selbstgenügsamem pornographischem Geräkele. Insgesamt zefällt „Don’t be evil“ in eine Nummernrevue, deren Thema überdeutlich wird: Die veränderten Realitäten einer digitalen Welt, die Verunsicherung, Schnelligkeit, Wiederholung und Vereinsamung mit sich bringen.
Aus diesem ermüdenden Einerlei, das außer einer Zunahme an Tempo und Fragmentierung keine Entwicklung zeigt, fällt Uwe Schmieder als aus der Zeit gefallener Utopist ein wenig heraus; in der Rolle einer Brecht-Figur spielt er dessen visionäre Rede über die „Funktion des Rundfunks“ aus – und taucht dabei auch in die Zuschauerreihen des Theaters hinab. Vom reinen Sender, so Brecht, solle das neue Medium auch zum Empfänger von Publikumsreaktionen werden, zu einer Art akustischem Internet.
Hier scheint die Inszenierung ihren eigentlichen emotionalen Kern zu haben; hoffnungsvolle Wirkungen der digitalen Welten bringen Voges und das neunköpfige Ensemble ansonsten nicht auf Bühne, Leinwand oder Auditorium. Das Thema der Kommunikation in Gegenwart und Zukunft ist der wenig greifbare Held oder Anti-Held der Inszenierung. Dabei kommen das Bühnenspiel und sein Spannungsverhältnis gegenüber den neuen Medien zu kurz, sodass die Inszenierung bei allem Tempo doch ermüdend wird, jedoch nicht entspannend. Durchgeschüttelt, aber wenig berührt oder intellektuell angegriffen – gut, auch Greta wurde beschimpft, von einem Alt-68er – denkt man an den Beginn des Spiels zurück.