Foto: Geschlossene Bühnengesellschaft in „Und alle so still“ © Kerstin Schomburg
Text:Jan Fischer, am 17. Februar 2025
„Und alle so still“, nach dem Text von Mareike Fallwickl, inszeniert von Jorinde Dröse am Staatstheater Hannover, will empowerndes Theater sein. Unser Kritiker betont in seiner Rezension seinen persönlichen Hintergrund, um seine Bedenken offen zu verorten.
Hier spricht ein ich: Cis-Mann, weiß, irgendwo am Anfang der 40er, keinerlei körperliche und geistige Einschränkungen außer einem Hang zu eher ungesundem Essen, Theater- und sonstiger Kulturkritiker, kurz: privilegiert bis zum Gehtnichtmehr. Ja, auch mich, erklärt Gig-Economy-Arbeiter Nuri (Fabian Dott in finanzieller Verzweiflung) in der Inszenierung, benachteilige das Patriachat. „Es geht allen beschissen“, sagt er. „Das Patriachat ist ein Versprechen an uns Männer, das nicht eingelöst wurde.“ Weitere Figuren, denen es in „Und alle so still“ beschissen geht sind: Ruth (Johanna Bantzer mit grandios gestresster Frisur), Pflegerin, durch zahlreiche Personaloptimierungen fast allein auf der Station und am Limit ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit. Elin (Helene Krüger im Billie-Eilish-Look), Influencerin mit toxischen Fans und Familienproblemen.
Queer-Chor und Empowerment
Das ich schleicht sich hier ein, weil es nicht in der Inszenierung angesprochen wird, nicht angesprochen werden soll, weil es hier nicht um es geht, und es deshalb vielleicht auch gar nicht so viel dazu sagen sollte. Es beobachtet die drei auf der Bühne, vor einer Mauer, die nach Grenze aussieht, die Berliner Mauer vielleicht, jedenfalls eine Mauer, die sehr entschieden signalisiert, dass sie nicht möchte, dass jemand auf die andere Seite kommt. Gesprochen wird über den Gender-Pay-Gap, Carearbeit, über finanzielle Probleme, über toxische Kommentare, über Rassismus, über misogyne Machtausübung, über Ausbeutung aller, die nicht aus einer starken Position sprechen können. Zwischendrin darf auch der Queer-Chor Hannover auf die Bühne und singt „Girls just wanna have fun“ und, am Ende, „Real Power“ von Beth Dittos Band Gossip. Und weil Wände, die im Theater im ersten Akt aufgebaut werden im letzten eingerissen werden müssen, ist die Mauer mittlerweile eingerissen.
Es geht in „Und alle so still“ also um Empowerment, in der Geschichte zeigen die Frauen und weniger Privilegierten ihre Macht dadurch, dass sie einfach beginnen, nichts zu tun. Sie liegen einfach auf der Straße, und sofort kommt das Land, kommt die Welt zum Erliegen, denn die Macht liegt schließlich nicht unbedingt bei den Reichen und Mächtigen, nicht wirklich, und ich, der privilegierte Theaterkritiker, möchte den kaputtgearbeiteten, den stummen, die verzweifelt versuchen, sich eine Form zu geben, die die kaputt macht, zurufen: Ja, protestiert, solidarisiert euch, legt eure Arbeit nieder, bis das ganze verdammte System, das auch zu viel zum Sterben und zu wenig zum Leben gibt im sich zusammenfällt. Gute Idee. Ich bin dabei. Sofort und kompromisslos.
Alles dreimal sagen
Und hier beginnen dann die Probleme. „Und alle so still“ folgt auf eine andere Produktion des Teams Fallwickl/Dröse, nämlich „Die Wut, die bleibt“, das 2023 in Hannover Premiere hatte, nach wie vor gezeigt wird und mit Gastspielen durch die Republik darüber hinaus – zu den Salzburger Festspielen – tourt. „Und alle so still“ hat möchte auf der Welle reiten, aber gleichzeitig nicht zu ähnlich sein. Nach der Wut kommt hier also offenbar Schweigen, oder besser: Das Nichtstun. Es ist alles getan, alles gesagt, die Wut ist verpufft, ohne Effekt, also wird gestreikt. Aber nicht nur werden – das ich muss erwähnen – wie in Aristophanes „Lysistrata“ den Männern Sex und Ressourcen verwehrt, bis der ganze Mist endlich aufhört, sondern einfach alles.
Wo allerdings „Die Wut, die bleibt“ eine sehr coole, fast eiskalte Angelegenheit war, in der die Wut unter Subtext und Subtilität brodelte wie Magma, die sich in einem Vulkanausbruch entlud, nimmt „Und alle so still“ das Publikum an die Hand und erklärt alles doppelt und dreifach. Also, nochmal: Das ich hat inhaltlich nichts zu bemängeln. Endlich sagts mal jemand, endlich gibt mal jemand dem Pflegenotstand, der ausbeuterischen Gig-Economy eine Theaterstimme, und auch noch eine, die auf einen klassischen Text anspielt, einer mit einer lustig-ernsten Idee, einfach so aus Spaß, wunderbar.
Figuren fehlen
Ja, sagt das ich, und sagt dann: Aber doch nicht so. Dem Text fehlt Literarizität – vielleicht der Idee geschuldet, er müsse einen einfachen Zugang haben – ihm fehlt Subtilität, stattdessen gibt es ein Manifest, das stellenweise wie ein Buzzword-Bingo daherkommt, darüber dann vergisst, dass es auch noch Figuren in problematischen Familienkonstellationen gibt, die irgendwie so nebenbei aufgelöst werden, aber egal: Die Figuren selbst bleiben sowieso blass, weil sie eher Manifest-Vehikel sind, an denen nicht exemplarisch gezeigt wird, was schief läuft an dem System, das sie ausbeutet, sondern denen das Manifest zum Aussprechen auferlegt wird. Aber auch immer schön explizit, damit bloß kein Zweifel aufkommt, worum es hier geht. Zwischendrin gibt es auch immer noch Videoeinspieler einer sehr offensichtlich sensationalistischen Nachrichtensendung, aber damit bloß niemand verpasst, dass auch der Journalismus den Mächtigen dient, wird die immer nochmal unterbrochen und es wird nochmal erklärt, dass der Journalismus – zumindest der gezeigte – den Mächtigen dient.
Und so ist das zweistündige Stück eher ermüdend, wird die Idee, an der tatsächlich eine empowernde, utopische Idee von Solidarität und Zusammenarbeit gezeigt werden könnte, davon, dass die Macht von den Ausgebeuteten ausgeht und die Mächtigen sich vor ihnen in Acht nehmen sollten, zu einer didaktischen Veranstaltung, in der von oben herab ein Manifest verlesen wird, an dessen Ende kein Rätsel steht, keine Reibungsfläche, sondern fröhliches, rhythmisches Mitklatschen mit dem Chor, weil: Man hat die Probleme ja gelöst. Und so geht das ich – enttäuscht von verschenktem Potential – nach Hause. Aber das bin natürlich nur ich. Andere mögen das anders sehen.