Foto: "Männerlist größer als Frauenlist oder die glückliche Bärenfamilie" © Herbert Liedel
Text:Dieter Stoll, am 28. Juni 2013
Der 200-Jährige, der aus der Oper ausstieg und im Zirkus verschwand? Ach was, das muss man am Jubilar Richard Wagner nun wirklich anerkennen, wie sein weiterhin ungebrochener Selbstverwirklichungsdrang sogar dann als Mysterium funktioniert, wenn er die Aufführung einer abendfüllenden Oper feiert, die es gar nicht gibt, und zu diesem hehren Zweck sogar persönlich als Teilzeit-Artist auftritt. Nicht in Weihfestspiel-Ambiente, sondern auf dem Hochseil einer Arena, wo der Meister aller Erlösungstode, gegen Absturz und sächsische Zungenknoten kämpfend, die heimliche Liebe zur Clownerie auskostet und im Mischklang aus Sprache und Dialekt aus schwindelerregender Höhe eine „Soiree mit Gunstgenuss“ verspricht. Man könnte sich an dieser Stelle einen Auftritt von Sohn Siegfried mit der schönen Leih-Arie „O mein Papa“ vorstellen, aber so weit wollten die Nürnberger Schatzgräber um Franz Killer dann doch nicht gehen. Für eine der ersten Aufführungen von „Männerlist größer als Frauenlist oder Die glückliche Bärenfamilie“, 175 Jahre nachdem der Komponist die Arbeit am Sujet zum Märchen aus 1001 Nacht zugunsten des ganz anders gearteten „Rienzi“ einstellte, gab es auch so genug zu tun. Denn entdeckt wurde vor einigen Jahren lediglich ein komplettes Libretto mit wenigen Kompositions-Skizzen, die der kreative Leiter der Pocket Opera Company als Wegweiser für eine Reise in die verwunschenen Ecken des Wagner-Archivs nutzte. Lieder, Märsche, Arien, Couplets und tosende Chor-Einsätze – allesamt vergeben und vergessen – zur zweiten Karriere in Stellung gebracht. Mit Pauken und Saxophonen! Den auftrumpfenden Basis-Sound des Orchesters bestimmt in Killers pointierter Bearbeitung sein Bläser-Orchester, nicht ohne den Hinweis, dass Wagner das neu erfundene Saxophon durchaus geschätzt habe. Zumindest zeitweise.
Ohne den „Circus Wagner“, mit dem die „Meistersinger“-Stadt Nürnberg die Geburtstagsfeier aus der Andachtsstarre erlöst, wäre es wohl gar nicht zu diesem Projekt gekommen. Die Handlung ist so komisch wie „Komische Oper“ halt ist, lässt degenerierten Adel und gesundes Volk durch Missverständnisse taumeln, bis am Ende der Bär, den man einer hässlichen Jungfrau aufgebunden hat, aus der Haut fährt und der bürgerliche Goldschmied sein Liebes-Glück mit ein wenig Klassenkampf-Prosa fassen kann: „Niemand preist wohl mehr im Leben/seiner Herkunft Niedrigkeit“.
Regisseur Peter P. Pachl, ein Wagnerianer mit besonderer Vorliebe für den verkannten Sohn Siegfried, inszenierte vorsichtiges Spektakel. Immer auf Sichtweite zur traditionellen Oper bleibend lenkt er das große Ensemble mit Johann Winzer, Gertrud Demmler-Schwab und Jens Müller an der Spitze mit gebauschtem Kostüm durch die Manege, schickt einen Hund und ein Fahrrad zur Belebung ins Gefecht und sperrt die ganze Dekadenz schließlich in den Käfig. Da muss dann Richard zum begütigenden Schlusswort nochmal selber ran. Ganz und gar Erlöser nach all der juchzenden Verwirrung.
In der Musik steckt mehr als in der Szene. Man darf teilhaben an der Sehnsucht des jungen Meisters nach Orientierung, kann schmunzeln über seine kompositorischen Ergebenheits-Adressen an die für ihn unerreichbare Eleganz der „französischen Oper“ und hört doch immer wieder schon den wahren Richard durchbrechen. Wie er die Sänger selbst in harmlosesten Szenen dazu verführt, die Melodien mit dem Klammergriff der Dramatik anzuspringen, im Salon kleine Helden-Gesänge anzettelt und das große Gefühl plakatiert – das hat Erkenntnis-Wert. Zumal Franz Killer auch als souveräner Schlachten-Lenker das feine Lächeln für Traum und Trauma des jungen Gesamtkunstwerkers nicht vergisst.
Nach knapp drei Stunden mit deutlich bremsenden Original-Dialogen gab es großen Jubel. Im „Circus Wagner“ greifen nun auch Jazzer, Satiriker und DJs nach dem Opern-Titan. Er wird es entspannt überstehen – diese Aufführung hat ihn etwas menschlicher gemacht.