Foto: "Götterdämmerung" im Tiroler Festspielhaus Erl © Xiomara Bender
Text:Roland H. Dippel, am 17. Juli 2023
Mit der „Götterdämmerung” endet Brigitte Fassbaenders „Ring” am Tiroler Festspielhaus in Erl und beweist erneut: Von diesem Werk kann es nie nur eine Deutung geben.
Im Sommer 2024 gibt es zwei „Ring“-Zyklen im Erler Passionsspielhaus. Danach übergibt Bernd Loebe, der dort mit Produktionen von „Rusalka“, „Königskinder“ und „Bianca e Falliero“ für Höhepunkte sorgte, die künstlerische Leitung der Tiroler Festspiele an den Tenor Jonas Kaufmann.
Regisseurin Brigitte Fassbaender ist für ihre analytische Gründlichkeit bekannt. Ihre ersten „Ring“-Teile bestachen durch szenische Klarheit und Stringenz. Doch wie verhält es sich mit diesen klaren Tugenden und kühler Sicht im Weltuntergangsstück „Götterdämmerung“, der dort auftrumpfenden Maßlosigkeit und Monstrosität?
Strickende Nornen und eine ausdrucksstarke Gutrune
Die Arbeit an diesem Finale des 1876 in Bayreuth uraufgeführten Bühnenfestspiels zerfällt in mehrere Stilhöhen. Da sind zum einen Szenen mit filigranem szenischem Feinschliff wie die der drei Nornen: Marvic Monreal, Anna-Katharina Tonauer und Monika Buczkowska werden drei nette ältere Damen mit Neigungen zu Handarbeiten und hellseherischem Ökobewusstsein. Sie stricken gegen die Projektionen mit dem Natursterben an und erinnern sich an Zeiten, die keine besseren und doch klarere waren.
Auch den Dialog zwischen dem Vollstrecker Hagen und seinem Vater Alberich (Craig Colclough) gelingt faszinierend. Mit dem Chor (intensive Einstudierung: Olga Yanum) malt Fassbaender eine graue Welt. Der hellblonde Gibichung Gunther (Manuel Walser) kommt aus einem blässlich-blasierten Getue nicht heraus. Doch seine Schwester Gutrune gewinnt neben einem sensationellen sängerischen Format auch stimmliches. Brigitte Fassbaender und Irina Simmes verweigern Gutrune nämlich alles, womit Regien sonst diese Figur mit erfundener Exaltiertheit überschütten, und erhellt damit die Kürze und ruhige Ausdruckskraft dieser Partie. Simmes spielt das derart klar wie Gutrunes Vorliebe für Obststückchen und bürgerlichen Wohnkomfort, den Kaspar Glarner in seiner Ausstattung andeutet und mit leuchtender Bar bekräftigt.
Siegfried und Brünnhilde als Nerds
Eine Galerie zieht sich über die Bühne, vor welcher sich die schlicht schleichende Naturzerstörung durch viel Nebelgewölk vollendet. Expressiv sind in diesem nüchternen Endzeitspiel vor allem Siegfried und Brünnhilde, dies allerdings nicht zum Besten der beiden wichtigsten Figuren. Vincent Wolfsteiner ist als Siegfried ein Tölpel im Angleroutfit. Brünnhilde benimmt sich ungeschliffen und grob. Zwei Nerds geraten in eine funktionale Welt, für die ungebremste Emotionalität ein Fremdwort ist. Der Frauwerdung und – nach Wagners Wähnen – Verdumpfung der Walküre Brünnhilde im Zivilisationssumpf stellt sich Christiane Libor im ersten Teil mit verhärteten Höhen, später mit wiedergewonnener Leuchtkraft. Hier wirken Siegfried und Brünhilde wie Urgesteine in einer Gesellschaft, deren Formen und Zwecke für gefallene Gottwesen undurchschaubar sind. Werkkonform ist, dass das Ende mit ganz konzentrierten Mitteln Gedankenraum gibt. Brünnhilde verglüht auf den Holzplanken des Scheiterhaufens. Alberich entwickelt zum toten Hagen doch so etwas wie Mitgefühl. Robert Pomakov gibt den „schamlosen Albensohn“ mit rotem Vollbart fast sympathisch und persönlichkeitsstark. Es versteht sich, dass die Rheintöchter (Anna Nekhames, Karolina Makuła, Katharina Magiera) mit sexuellen Eindeutigkeiten, aber ähnlich verdichteter Leichtigkeit wie die Nornen geführt sind. Eindrucksvoll und mit stiller Differenzierung gelingt die Szene der Waltraute (Zanda Švēde).
Erik Nielsen betont mit dem Orchester der Tiroler Festspiele das Ariose und Transparente der Partitur, angemessen zu den nur selten ausladenden Gesangsleistungen außer denen von Brünnhilde und Siegfried. Es ist ein geerdeter und nicht zu fülliger Klang, der den langen Abend ohne Spannungsverluste stabilisiert, ein akzentuiertes dramatisches Spiel ermöglicht und das Publikum auf das Erlauschen poetischer Dimensionen einschwört.
Es geht nicht um das Beharren auf einer einzigen Deutung, sondern um viele Möglichkeiten des Ausdrucks. Gestik und Gesang ergänzen sich ideal. Am Ende schwebt über Wagners mildem und vielleicht sogar hoffnungsvollem Schluss noch immer tiefe Skepsis. Dialektik statt Dualismus und ein Tiefgang, der nicht jede Neugier erfüllen will, zeichnen diesen „Ring“ aus. „Götterdämmerung“ endete mit einem intensiven Abendrot über dem Unteren Inntal.