Foto: „Im Namen von“ nach einer Tragödie von Voltaire am Theater Ulm © Ilja Mess
Text:Manfred Jahnke, am 2. Oktober 2015
Hierzulande werden die Tragödien des großen französischen Aufklärers Voltaire kaum mehr aufgeführt. Sein „Le fanatisme ou Mahomet le Prophète“, 1741 in Lille uraufgeführt, wurde dann in Paris nach zwei Vorstellungen auf Interventionen christlicher Institutionen abgesetzt. Auf Druck des Herzogs übersetzt und bearbeitet Johann Wolfgang von Goethe Voltaire`s Tragödie, die als „Mahomet“, 1800 in Weimar uraufgeführt wird. Er transformiert vor allen Dingen den französischen Alexandriner-Rhythmus in den Blankvers und verdichtet die Tendenz zum Lehrstück durch Verschlankungen. Nun hat der Intendant des Theaters Ulm Andreas von Studnitz unter dem Titel „Im Namen von“ Voltaire und Goethe weiter eingekürzt, sprachlich aktualisiert und mit den Schlagworten gegenwärtiger politischer Diskussionen durchsetzt. Dabei blitzt immer wieder die Schönheit Goethe`scher Sätze durch. Andererseits verstärkt von Studnitz mit seinen Abstraktionen die Tendenz zu einem parabelhaften Lehrstück.
Es geht also um Fanatismus. Und es geht um das „Licht“, das die Aufklärung mit der Vernunft in die Welt bringt. Ein Prophet, der einst als Aufrührer verbannt wurde, ist in seine Heimat zurückgekehrt und will das Establishment wenn nötig gewaltsam von seiner Religion überzeugen. Ein wichtiges Pfand dabei sind die beiden Kinder Séide und Palmire, die der Prophet einst Sopir, dem führenden Senator, entführt hat. Sopir wiederum hat einst den Sohn des Propheten getötet. Über diese private Verflechtung, die mit den Motiven der Wiedererkennung arbeitet, läuft zugleich auch die politische. Denn der Prophet will die Stadt einnehmen, sie aber schonen, wenn Sopir sich unterwirft. Weil der aber aufrecht bleibt, muss er getötet werden. Als Mörder wird Séide erkoren, der so zunächst in eigener Unkenntnis zum Vatermörder wird. Palmire, seine bisher unerkannte Schwester und jetzige Geliebte, ersticht sich, als der Tyrann sie sich zur Geliebten nehmen will. „Die Welt ist für Tyrannen / Noch / Doch Dein Reich ist zerstört / Sobald der Mensch erkennt.“, ist der letzte Satz der Tragödie. Bei Goethe heißt es da lapidarer: „Die Welt ist für Tyrannen – lebe du!“ Wenn also die Botschaft bei Studnitz sehr viel didaktisch-aufklärerischer gesetzt ist, an die Verantwortung des Einzelnen appelliert wird, bleibt doch die Frage, inwieweit die Tragödienkonzeption taugt, den abstrakten Mechanismus des Fanatismus zu veranschaulichen?
Aber es geht Studnitz weniger um den Fanatismus an sich, sondern mehr um die Frage, wie sich jeder Einzelne, der sich seines Verstandes bedient, zu diesem verhält und handelt – wie in einem Lehrstück von Brecht. Deshalb lässt er auch in seiner Regie, die opernhaft statuarisch angelegt ist, die Spieler sehr oft direkt ins Publikum schauen und vor allen Dingen das Geschwisterpaar wie mechanische Puppen bewegen und sprechen. Die älteren Gegenspieler – Jörg-Heinrich Benthien als Sopir und Wilhelm Schlotterer als Prophet – dürfen immer wieder emotionale Ausbrüche herausschreien. Erst zum Schluss kommt diese Inszenierung, die sehr viele Mittel einer distanzierenden Verfremdung von Mikroport bis hin zu den wehenden Tücher (oder Schleier?) des Bühnenbildes von Mona Hapke benutzt, zur intensiven Ruhe und hat eine starke emotionale Ausstrahlung. Da fallen die Tücher, die Bühne ist wie schon zuvor in blaues Licht eingetaucht. In diesem Ambiente zeigt sich die Palmire der Sidonie von Krosigk nicht mehr im Leinenkleid mit schnell zu bindendem Kopftuch, sondern emanzipiert im roten Kleid und muss auch nicht mehr mechanisch klappern. Da findet Dan Glazer als Séide schöne Gesten für seine tragischen Gefühle. Nur der ständig in sein Smartphone starrende Omar, die rechte Hand des Propheten, des Florian Stern darf in diese Tragödie weiter hineinlächeln und der Phanor des Gunther Nickles daneben stehen.