Foto: „Einer flog über das Kuckucksnest" am Theater RambaZamba © Andi Weiland
Text:Detlev Baur, am 21. Oktober 2022
Ein Strafgefangener täuscht eine psychische Erkrankung vor, um in einer psychiatrischen Anstalt von vermeintlich angenehmeren Bedingungen zu profitieren. Dieser egozentrische Randle McMurphy bringt tatsächlich Leben in die trostlose Psychiatrie, die von der bösartigen Oberschwester Ratched beherrscht wird. Es kommt nach einem wilden Ausflug der Insassen zu Gewalt zwischen Patienten und Pflegepersonal. Am Ende wird der medizinisch misshandelte McMurphy von einem „Mithäftling“ erwürgt und damit vor weiteren Qualen erlöst.
„Einer flog über das Kuckucksnest“ ist für das Ramba Zamba Theater und sein professionelles Ensemble aus behinderten Schauspieler:innen ein Stoff, der die besondere gesellschaftliche Situation der Darsteller:innen vielversprechend spiegelt. Interessanter wird die Konstellation noch durch das Regiedebut Leander Haußmanns, dessen besondere Stärke im sinnlichen Ensemblespiel liegt, am Haus.
Film als Folie
Klugerweise versucht Haußmann gar nicht, den ikonographischen Hollywood-Erfolgsfilm von 1975 mit Jack Nickolson in der Rolle des ambivalenten Revoltierenden zu verdrängen. Vielmehr wird im spröden Bühnenraum, der mit den Kacheln an den Wänden leicht an eine unerfreuliche Anstalt gemahnt, durch Projektionen aus dem Film die Fabel erzählt bzw. in Erinnerung gerufen. Der überragende Film dient somit als Folie für das Spiel der sieben Ensemblemitglieder mit dem Gast Norbert Stöß (der bei der Premiere für Matthias Mosbach einsprang) sowie die zwei Musiker Phil Haussmann und Amon Wendel.
Im Stuhlkreis der Gruppentherapie geht es relativ gemütlich zu. Billy (Anil Merickan) hat sich auch hier nach dem Besuch der übermächtigen Mutter die Pulsadern aufgeschnitten, Dirk (Dirk Nadler) hat permanent schlecht geschlafen, Mr. Harding (Sebastian Urbanski) ist von Grund auf in seiner Männlichkeit gekränkt – aber zu tragisch scheint das alles nicht zu sein. Schließlich geht es eher freundlich zu; Schwester Ratched (Franziska Kleinert) wirkt noch beim bösesten Blick ins Publikum sympathisch und ihre Assistentin (Nele Winkler) flirtet in aller Schüchternheit. Christian Behrendt ist in seiner Ruhe, meist auf einen Besen gestützt, gleich für den Neuen eine zentrale Figur – ohne die Figur des Indianers Bromden aus dem Film zu kopieren.
Freundliche Gruppe
Jonas Sippel spielt den Macho McMurphy alias Jack Nickolson mit einer großen Lässigkeit. Er animiert das Publikum zur Interaktion, sein Mackertum hat immer Charme, der vergebliche Gewaltakt beim Herausreißversuch eines Heizkörpers wird wie ein Zirkusspiel musikalisch-heiter begleitet, während insgesamt ein melancholischer Blues E-Gitarre oder Klavierspiel von Phil Haussmann dominiert. Der kurzzeitige Ausbruch findet per Film statt, die Gruppe kommt nach dem Verkauf der Anstaltsdrogen im Prenzlauer Berg zu egozentrischen Klamotten; Detlev Buck gibt dabei einen überforderten Polizisten mit schwäbischer Uniform und der Regisseur einen schmierigen Zuhälter. Hier gleitet die Inszenierung in eine launige Persiflage ab. (Ironischerweise unterbricht wenig später ob des zahlreich eingesetzten Kunstnebels ein echter Feuer-Fehlalarm die Premiere.)
In einem zusammengeschnittenen Gespräch mit dem Anstaltsleiter aus dem Film kann der immer zuversichtliche Berliner McMurphy hingegen ein ganz eigenes Profil der Hauptfigur entwickeln. Seine Revolte ist mit Heiterkeit gepaart wie auch die der gesamten Gruppe, einschließlich des wunderbar verwirrten Doktor-Patienten von Norbert Stöß. Haußmann ändert die triste Story eigentlich nicht. Und doch haben er und das Ensemble ein ziemlich erfreuliches „Kuckucksnest“ geschaffen. Das führt allenfalls am Rande zu den Abgründen menschlicher Machtspiele und geht auch auf die Exklusion behinderter Menschen in der Gesellschaft nicht so intensiv ein, wie es der Stoff angeboten hätte. Und doch harmonieren der Spielmacher Haußmann und das Ensemble, schaffen gemeinsam eine Inszenierung, die Mut macht.