"A City seeking its Bodies" am Tanzhaus NRW

Entwurzelte

Alexandra Waierstall: A City seeking its Bodies

Theater:tanzhaus nrw düsseldorf, Premiere:17.09.2015 (UA)Komponist(in):Hauschka

Die Städte haben nur Namen. Am Anfang sagt eine etwas müde klingende Frauenstimme aus dem Off „Singapur“, dann „Rochester“, „London“, „Vilnius“, „San Francisco“. Die Liste knüpft ein willkürliches Netz über den Globus und erinnert vielleicht den einen oder anderen im Publikum an einen Ort, an dem er, sein Körper, mal gewesen ist. Oder an Bilder und Geschichten. „Galapagos“, „Tschernobyl“. Oder an Katastrophen. Gewesene oder kommende? Doch Fukushima fehlt. Aleppo auch. Ein Film beginnt, auf der großen Leinwand hinter der Bühne gleitet ein winterlich beschneiter Nadelwald vorbei, von einem Fluss aus gesehen. Dann knorzige Bäume am Wasser, am Rhein. Ein flackerndes Rot bricht kurz in den Film ein. Wie ein Montagefehler der Videokünstlerin Marianna Christofides oder eine unheimliche Warnung. Neben der Leinwand steht eine Tänzerin, so still, dass man sie kaum bemerkt. Diese Art Zurückhaltung kennzeichnet die gesamte Inszenierung, auch wenn sie anschließend mit Musik und Tanz auf der nun etwas heller beleuchteten Bühne allmählich Fahrt aufnimmt.

Das ist klug und gut und doch auch schade. Die Düsseldorfer Choreographin Alexandra Waierstall arbeitet in „A city seeking its bodies“ zum erstenmal mit Live-Musik. So rahmen Musiker die Seiten der Bühne: die Streicher des Converse Quartetts und zwei Klarinettisten, ein Schlagzeuger und der Komponist und Pianist Hauschka alias Volker Bertelmann an einem kleinen Flügel, der, dafür ist der Künstler ja berühmt, im Innern mit klavierfremden Dingen bestückt ist. Man sieht es aber nicht und hört es nur stellenweise an klimpernden hohen, scheppernden tonlosen und verzerrten melodischen Tönen. Leise tappt die Musik in die Anfangsbilderstille, mit tiefen dumpfen Schlägen, und die vorn am Bühnenrand wie Treibgut liegenden Tänzer heben die Köpfe, während die körperlose Frauenstimme auf englisch sagt, dass manchmal die Grundlagen, auf denen menschliche Existenzen basieren, „wir“, sich verschieben, „Religion, Regierungen“ würden instabil, oder es werde „zu heiß, zu kalt, Wasser steigt, etwas versinkt“. Die Sätze sind überflüssig.

Denn die Körper sagen genug. Wie sie langsam rollen, als drücke doppeltes Gewicht sie zu Boden. Wie sie stehen und sich verbiegen, wieder aufrichten, wieder verzerren, verzerrt werden von etwas, das man nicht sieht, vielleicht nur hört. Plötzlich rennen sie, als eine Art Herzschlag ertönt und sich die elektrifizierten Streicherklänge in die Ohren bohren. Sie laufen als Gruppe wie in einer großen schwappenden Welle über die Bühne, hin und her, Einzelne bleiben in der Mitte des Felds übrig, werden beim nächsten Schwall wieder mitgenommen, ein anderer steht da nun. Ausgetauscht. Oder zwei. Sie tanzen, nah beieinander, mit luftigen Armen. Drei Sekunden dauert diese Geschichte oder ihr Leben dort, dann werden sie wieder mitgerissen. Einer widersteht wie ein Baum dem Schwung, der ein paarmal an ihm vorbeirauscht und schließlich ausfranst. Ein Paar hat dann den Platz für sich. Die beiden tasten, fühlen die Luft und schauen wie Entwurzelte in eine ihnen fremde Welt. Legen sich schließlich auf eine Linie, die anderen dazu, sie bilden ein Mäuerchen oder eine Genealogie. 

Das ist die Stärke von Alexandra Waierstall, die seit zehn Jahren in Düsseldorf choreographiert und damals bekannt wurde mit „Crossing Borders“, inspiriert von ihrer geteilten Heimatstadt Nikosia auf Zypern. „A city seeking its bodies“ wirkt wie eine feine Synthese daraus und aus ihren folgenden Stücken, die sich mit Zeitlichkeit, mit Generationen und mit Wind und Wasser beschäftigten. Indem sie ihre sechs famosen Tänzer hier stets an der Grenze, in der Grenze, mit der Grenze zwischen Mensch und Ding, Gewächs, Tier, Erde, Luft agieren lässt. Zwischen Bleiben und Vergehen. Zwischen Mechanik, in pendelnden Armen, und genussvoller Bewegungsfreiheit des Ausgreifens und Schwebens. Man muss nur gut hinschauen können. So wie die Tänzer am Ende ruhig sitzen und in dieselbe Richtung schauen wie wir. Wie an einem Ufer. 

Die Choreographie findet in der „Stadt, die ihre Körper sucht“ ? in dem Thema der verlassenen oder verwüsteten Orte ? Spuren von menschlichem Leben. Es sind also eher Andeutungen. Das ist konsequent und lässt einen doch nach fünfzig Minuten mit dem Wunsch nach mehr zurück. Mehr Raum für die Tänzer und den Tanz. Andererseits sind die Flüchtlinge in den hiesigen Bahnhöfen und Behelfshallen so real, bodies seeking its city; da wäre in einem Stück über verlassene Städte ein anhaltender ästhetischer Genuss verkehrt. Auch die melancholischen Ideen, die zuweilen in Hauschkas Komposition bei Cello oder Klavier aufscheinen, seinem Album „Abandoned Cities“ von 2014 entnommen, schrammen deshalb fast den Kitsch. All die Musiker sind leider auch eine visuelle Bürde für das Stück, das eigentlich einen riesigen Horizont hat. Diese Spannung zwischen der immensen Weite des gedanklichen Blickes und der scheinbar einfachen Aktion der sechs Tänzer macht seine Qualität aus. Das ist gewagt.