Foto: „Die große Verschwörung“ findet bei Telegram statt. © Junges Staatstheater Braunschweig
Text:Ute Grundmann, am 22. Januar 2021
Das Emoji ist gar nicht amused. Finster blickt es dem Betrachter entgegen, ist es doch von lauter Verschwörungsmunklern umgeben. Doch dann gibt es erstmal ein fröhliches „Hallo!“ von Hannes, der damit zu einer lustigen Late Night Show einlädt. Um „Die große Verschwörung“ soll es gehen und deren vielen, kleinen Ableger – so will es das Junge Staatstheater Braunschweig, das damit natürlich gegen solchen Spuk rüsten will. Und dazu hat man, wir sind in Corona-Zeiten, eine Telegram Edition aufgelegt.
In der soll es um die ganz großen Themen gehen: Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, Kindesmisshandlung, sexualisierte Gewalt… Dafür sind schon eine Woche vor der Premiere die ersten Teilnehmer der „Gruppe“ beigetreten, in der „Schreiben nicht erlaubt ist“, so warnt beständig eine Einblendung. Zusehen und -hören soll man dem Smartphone-Format, das auf dem Laptopbildschirm nur ein schmales Drittel einnimmt. Zu Beginn hat eine schüchtern blickende junge Frau fünf Minuten für ihren „kleinen Vortrag“, in dem sie einen seltsamen Moderator des Senders Vox und den „Da Vinci-Code“ ins Visier nimmt und mit roten Warnpfeilen und -kreuzen versieht. Fazit des Finster-Emojis: „Verschwörungen werden immer komplexer.“
Die wollen die Erfinder und Moderatoren des Formats, Hannes Siebert und Berit Wilschnack, aufdröseln, noch lieber „entschwören“ und alle in der Gruppe dagegen gefeit machen. Als „H“ und „B“ stecken sie in Sprechblasen mit Glitzervorhang, ihre Sprechzeit läuft als Kreis um die Blase ab, die Gesichter passen nicht ganz in den Kameraausschnitt. Vor allem „B“ hat schweres Gepäck dabei: kluge Anti-Texte, wenn man mal „einen schmissigen Text“ braucht, um Verschwörer zu entwaffnen. Und davon gibt es hier viele: Lena Meyer-Landrut, Prinz Charles und Dracula, ein eingefrorener Walt Disney. Das wirkt abstrus, ist aber durchaus ernst (zu nehmen), gibt es doch viele Menschen nicht nur mit Aluhüten, die solche Geschichten glauben und vertreten. Gegen die hilft auch der lustige „Haut-den-Lukas“ nicht, der bei „absolute Scheiße“ wild klingeln würde.
An eine Late Night Show à la Jan Böhmermann oder gar Harald Schmidt darf man bei „H“ und „B“ nicht denken. Als „hochwertiges Edutainment“ angekündigt, ist es doch eher belehrend und brav zugleich, trotz kräftiger Sprache; es lässt auch etliche Themen aus. Stattdessen klinkt sich die (nicht unumstrittene) Antonio Amadeu Stiftung mit Anti-Verschwörungs-Anweisungen ein. Dass sie an eines der ersten Todesopfer rechter, rassistischer Gewalt der jüngeren Zeit erinnert, erfährt man nicht. Und kann man warnend über Antisemitismus sprechen, ohne die Shoa, den Mord an sechs Millionen Juden, auch nur zu erwähnen? Hier wird nur ausführlich dargestellt, dass Antisemiten „Elite“ und „Juden“ gleichsetzen.
Eine gute Stunde nehmen sich die Moderatoren, vor roten Linien zu warnen und zum Ernstnehmen zu mahnen. Und bevor es zum Chat-Nachgespräch geht, wird noch ein Video von Justin Timberlake geboten, das fast 33 Millionen Mal geklickt wurde. Und dann: Glitzervorhang zu und viele Fragen offen.
Entstanden im Rahmen der Late Night Show-Reihe „JUNGES! spät“ am Jungen Staatstheater Braunschweig.