Ensembleszene

Entschleunigung im Theater für junge Menschen

Paula Fox: Ein Bild von Ivan

Theater:Schauburg München, Premiere:05.04.2016Regie:Boris von Poser

Wer bin ich? Diese Frage, die viele junge Menschen in der Adoleszenz herum treibt, ist für Ivan besonders bedrängend. Seine Mutter, an die er keine Erinnerung hat, ist schon früh gestorben und der Vater als reicher Geschäftsmann ständig unterwegs, so dass er die vielen Fragen seines Sohnes nicht beantworten kann, zumal auch er verdrängt. Wer also ist Ivan? Der Junge auf den Fotos? Oder der, den nun Matt malen soll. Sagt ein künstlerisches Bild mehr als ein Foto?  Durch Matt und die Vorleserin Miss Manderby lernt Ivan eine neue Welt kennen. Beide spüren auch, dass der Junge ganz in sich eingesponnen ist. Weil Ivan nur weiß, dass seine Mutter mit dem Schlitten von Russland nach Polen gekommen ist, beginnt der Maler neben der Arbeit am Portrait auch eine Schlittenzeichnung. Als er mit den Beiden nach Florida reisen darf, entwickelt sich eine tiefe Freundschaft zu Geneva. Zum ersten Mal spürt er, dass er auch anderen Menschen etwas bedeutet. Und das gibt ihm die Kraft, endlich seinen Vater nach seiner Mutter fragen.

In „Ein Bild von Ivan“, das schon 1969 in Amerika erschien , erst 2007 ins Deutsche übertragen wurde und dann 2008 den deutschen Jugendliteraturpreis erhielt, gelang Paula Fox „ein großer poetischer Entwurf, der Kindheit zart in Worte gießt und behutsam zu trösten versteht“, wie es in der Jurybegründung vom Jugendliteraturpreis heißt. Identitätsfindung, die Reibung zwischen Eigen-, Fremd- und Abbildern werden hier ebenso ernsthaft wie humorvoll von der Autorin dargestellt. Für die Münchener SchauBurg hat  Boris von Poser eine Stückfassung entwickelt, die die epischen Strukturen der Vorlage beibehält. Alle Spieler sind zugleich Erzähler, wobei die Erzählpassagen weniger dem Fortgang der Handlung gelten, sondern eher die innere Entwicklung von Ivan widerspiegeln. Dabei gelingt der Inszenierung von Boris von Poser etwas ganz Spannendes: die Entschleunigung auf der Kindertheaterbühne.

In einem fast leeren Spielraum, in dem vier große Papierbahnen herabhängen, sowie 12 kleine Säulen aus Wellpappe herum stehen und aus dem gleichen Material „Bücher“ (Bühnenbild: Timo von Kriegstein), konzentriert sich die Regie ganz auf das Wort. Handlungen finden nur in minimalistischer Form statt, indem ausschließlich mit diesem Material – Papier und Pappe – gearbeitet wird. Markus Campana als Maler Matt reißt als Ausdruck des Malprozesses winzige Stücke aus den Papierbahnen. Als man dann in Florida angekommen ist, donnern die Hänger mit den Bahnen herunter und die Spieler zerreißen das Papier in viele Stücke, so dass der Bühnenboden immer mehr  bedeckt wird, bis Peter Wolter als Vater mit einem Laubbläser auftritt und wieder  „Ordnung“ schafft. Die Wellpappensäulen verwandeln sich in den Schlitten, Bücher oder einfach in Hocker. Ansonsten wird mit den Mänteln gearbeitet, die Jessica Karge entworfen hat. Mehr Aktion gibt es nicht. Atmosphäre schafft die zwischen Dixieland und Swing changierende Musik von Moritz Gagern.

Das alles sind Mittel, die in einem Stück für Kinder ab 11 Jahren überaus gewagt sind. Diese ganz auf die Sprache und innere Bilder konzentrierende Inszenierung braucht dazu Schauspieler, die in ihrem Zusammenspiel diese Bilder beim jungen Zuschauer entstehen lassen. Boris von Poser bringt die Darsteller in eine Konzentration, die überzeugt. Nick-Robin Dietrich als Ivan, Sophie Wendt als Miss Manderby und insbesondere Lucca Züchner als Geneva bilden zusammen mit den beiden schon genannten Darstellern ein Ensemble, das nach anfänglichem Zögern zu einem starken gemeinsamen Spiel findet.