Foto: Katja Preuß und Betty Wirtz mit der Figur Fritz © Nicky Hellfritzsch
Text:Ute Grundmann, am 28. Februar 2013
Nietzsche schaut sich selbst über die Schulter. Ein großer Puppenkopf schmiegt sich an ihn und gemeinsam sehen beide in die Welt, die dem Philosophen immer weiter entrückt. Den doppelten Nietzsche hat Rainer Lewandowski entworfen, für sein Stück „Ich bin ein göttlicher Hanswurst“, das um Nietzsches letzte Nacht in Naumburg kreist. Und am dortigen Theater wurde das Auftragswerk nun auch uraufgeführt, mit Schauspielern und einer Puppe, wie es sich für „Die kleine Bühne für Menschen und Figuren“ gehört. Ausstatter Andreas Becker hat auf die kleine, dunkle Bühne einen Kasten mit gläsernen Türen gestellt, die zunächst mit Buchseiten bedeckt sind. Ein Schatten-Mann reißt von innen einige Seiten herunter, schaut durch die so entstandene Lücke – Nietzsche (Holger Vandrich), der schließlich all die Druckseiten (seiner Bücher?) auf den Boden befördert.
So beginnt das 70 Minuten kurze Stück mit dem doppeldeutigen Untertitel „Nietzsches Nacht der Erlösung“. Der Glas-Kasten auf der Bühne kann dabei Dachzimmer, Zelle oder Verlies sein, in dem der Philosoph die meiste Zeit so eingesperrt ist wie in die Welt seiner Gedanken. Aber da ist ja noch „Fritz – sein Geist“ – hier eine grünmarmorierte Puppe wie ein alterndes Kind, geführt und gesprochen von Betty Wirtz. Rainer Lewandowski, Bamberger Intendant und Autor („Heute weder Hamlet“), ist im Naumburger Spielplan schon mit dem Klassenzimmer-Stück „Escape!“ vertreten. Und er schreibt schon an einem neuen Stück für die Kleine Bühne: Über die „Herrschaftsregion Saale-Unstrut“, für die man sich um den Welterbe-Status bemüht. Doch nun erst mal, zum Wagner-Jahr, ein Stück über Friedrich Nietzsches Ende in Naumburg, inszeniert von Martin Pfaff.
Es gibt keine gradlinige Handlung, keine biografische Skizze, sondern ein vielfältiges Puzzle aus Erinnerungen, Assoziationen, Gedanken, Philosophien. Neben der Doppelfigur Nietzsche ist dessen Schwester Elisabeth (Katja Preuss) die Dritte im Bunde. Sie hütet und ordnet seine Schriften, pflegt den Bruder und streitet mit ihm. Beziehungsweise mit seinen Geist – denn der Philosoph bleibt meist stumm in seiner Zelle, nur für einen – mit heutigen Fotos illustrierten – Spaziergang durch Naumburg verlässt er den Raum für längere Zeit. Dieses Dreiecksspiel – Elisabeth spricht mit der Puppe über die Verehrung für und den Bruch mit Wagner, über die Familie, über Lou von Salomé, während Holger Vandrich als Nietzsche stumm dieser Welt schon entrückt scheint – ist reizvoll, weil immer wieder variiert.
Mal schmiegt sich die Puppe an Nietzsche, mal streicht er ihr vorsichtig die Hand, mal kann der Puppen-Geist fliegen, dann wieder doziert er wie ein altkluges Kind. Musik setzt Martin Pfaff in seiner Inszenierung nur sehr sparsam ein und wenn dann Nietzsche über Kopfhörer Wagner-Klänge hört, wankt er auf seinem Stuhl hin und her, wie verzückt und zugleich wie unter einer schweren Last.