Foto: Szene mit Thomas Fritz Jung und Alina Vimbai Strähler © Bjørn Jansen
Text:Manfred Jahnke, am 6. März 2016
Die Geschichte der jungen Frau, die als einzige den Mut hat, ihre Stadt zu retten und dem feindlichen Feldherrn den Kopf abschlägt, findet sich derzeit wieder öfter auf den Spielplänen der deutschen Theater. Sie lässt sich als Kommentar zum neu erstarkenden religiösen Fundamentalismus verstehen. Die eine, Judith, entschließt sich im Namen Gottes, den Gegner zu töten, dieser aber, Holofernes, fühlt sich – obschon Diener Nebukadnezars – in seinem Vernichtungskrieg selbst wie ein Gott. Jede absolute Verherrlichung des Göttlichen an sich bedeutet Tod und Zerstörung, physische wie psychische. Diesen Prozess führt Friedrich Hebbel in seiner Tragödie (1840 U) vor, wobei er die Geschichte aus dem Alten Testament individualisiert, insbesondere Judith ganz eigene Züge gibt, weil sie nicht weiß, ob ihr Leib nun fruchtbar geworden ist.
In der Werkstatt des Theater Konstanz haben intelligent der Regisseur Thokazani Kapiri, Gast aus Malawi, und der Dramaturg Adrian Herrmann die personenreiche Tragödie in ein etwas mehr als einstündiges Dreipersonenstück verwandelt. Neben Judith und Holofernes gibt es nur noch den „Reporter“, der in seiner Funktion als Moderator alle wichtigen Figuren Hebbels mit spielt, oder besser: mit ansagt. Die Bühne von Viktoria Salzbrunn, dominiert von einer Mauer, die auf der linken Seite bröckelt, schafft drei Spielräume: zum einen das Fernsehstudio auf einem weißen Podest mit rotem Ledersessel und -sofa, auf der rechten Seite ein Set von Munitionskisten, die an die Realität erinnern, sowie als dritten, vom Publikum nicht einsehbaren Raum das Backstage, in dem nicht nur der Mord an Holofernes statt findet, sondern auch die selbstreflexiven Monologe, die ja eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Eine Videoleinwand, im silbernen Rahmen, verbindet auf halber Höhe medialen wie realen Raum. Mit einer live geführten Kamera, die vom Reporter bedient wird, werden Bilder direkt auf die Leinwand projiziert.
Und so beginnt „Judith“ „nach Friedrich Hebbel“ in der medialen Trivialität einer Talk-Show, in der der aalglatte Reporter des Axel Julius Fündeling den Holofernes präsentiert, von Thomas Fritz Jung in Kettenhemd und Kampfhose als jovialer Krafttyp angelegt, der auch gerne mit seinem Dolch spielt. Schon hier gelingt es der Regie von Thokazani Kapiri zu zeigen, wie sich das Entertainment der Show-Welt über die brutalen Handlungen legt, in der diese fast zum Verschwinden kommen. Nur außerhalb dieser einlullenden Welt kann die wirkliche Gewalt von Worten dargestellt werden. Fündeling übernimmt in seiner Moderation auch immer wieder Passagen von den Bürgern Bethuliens, um die Situation in der Stadt und damit das Handeln von Judith zu zeigen. Diese spielt Alina Vimbai Strähler im türkisfarbenen Hosenanzug – wie es einmal im Text heißt – wie ein „Engel“, eine sanft erscheinende Terroristin. Und da ihre Maxime: „Jedes Weib hat ein Recht, von jedem Mann zu verlangen, daß er ein Held sei.“ nicht greift, muss sie nun selbst tätig werden, ruhig, sich ihrem sexuellen Begehren nicht stellend, am Ende mit blutigen Armen auf der Bühne stehend, nur von einer Furcht getrieben: „Bete zu Gott, dass mein Schoß unfruchtbar sei.“ Der Kopf des Holofernes übrigens wird dem Konstanzer Publikum verweigert.
Erstaunlich ist, wie es dem Team um Thokozani Kapiri gelingt, die Aktualität des Stoffes im Spiel der Drei zum Ausdruck zu bringen. Erstaunlicher vielleicht noch, dass diese stark gekürzte Fassung nicht das Gefühl mit gibt, dass etwas Wesentliches in der Geschichte unterschlagen wird. Im Gegenteil, die banale Sprache der Medienwelt wird hier konfrontiert mit dem hohen Pathos der Hebbel’schen, die in dieser Gegenüberstellung zum eigentlichen Medium der gedanklichen Auseinandersetzung wird und den Schein des Entertainments erst kenntlich macht.