Text:Dieter Stoll, am 21. Februar 2013
Wenn die außerirdische Kurtisane Magenta als erste Botschafterin aller folgenden “Trans”-Aktionen beim Opening-Rundlauf dem Publikum “Double Feature” verspricht und dabei auf den eigenen Busen deutet, sind Dirndl-Debatten für diesen Abend erledigt. In der Nürnberger Inszenierung von Richard O´Briens “The Rocky Horror Show”, die einem unwiderstehlichen Second-Hand-Sog zwischen Hagen, Mönchengladbach und dem Landestheater Oberpfalz folgt, geht es ansonsten nicht um herausfordernde Aktualisierung. Immerhin, der zwielichtige Rollstuhl-Professor Scott (der sonst als Dorfrichter Adam tätige Frank Damerius mit Chemnitzer Zungenschlag) besteht darauf, dass man ihm “nischt” nachweisen kann – worüber nach Dialekt und Dialektik im Uraufführungsjahr 1973 niemand nachgedacht hätte. Seither sind auf der Bühne und im Kino viele Reiskörner geflogen und Klopapiere entrollt worden, was Klaus Kusenberg in seiner Staatstheater-Produktion nicht ignorieren wollte und konnte. Also gibt er auch in Nürnberg nicht nur oder in erster Linie das Stück, dessen moralfreies Provokations-Potenzial im Lauf der Zeit zu ein bisschen Nihilismus-Schaumschlag auf Entertainment-Törtchen geschrumpft ist, sondern vorrangig die kindliche Freude an der Rezeptionsgeschichte. Mit Gebrauchsanweisung, denn neben dem richtigen Einsatz von Zwischenrufen und Konfetti müssen schließlich auch die Verbote der feuerpolizeilichen Vorschriften an öffentlichen Theatern verinnerlicht werden. Funktionierende Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Reinigungspersonal bleibt die Vorstellung allemal.
Optisch machen sich Regisseur Kusenberg und sein Dauer-Bühnenbildner Günter Hellweg diskret frei von den Vorbildern, soweit die es zulassen. Auf weiter Szene mit viel Hebebühnen-Dramatik wird die Transsexual-Gemeinde samt ihrer Transilvanians-Tanztruppe wie mit einem Navi für Querverbindungen von Travestie und Parodie durch die allmählich im grellen Licht ihrer Aufführungs-Tradition verblassende Story gelenkt. Anders als dazumal bei Walter “Wally” Bockmayer, der vor gut 30 Jahren bei der Deutschland-Premiere am Stadttheater Essen unter Schirmherrschaft des risikofreudigen Intendanten Ulrich Brecht seine Schmuddel-Ästhetik selbstbewusst gegen die Londoner Show-Perfektion stellte, geht es in Nürnberg kaum noch um “Handlung”, die zugegebenermaßen ohnehin nichts mehr bedeutet. Das Staatstheater macht Party – und da wird nicht nur das Haus gerockt, sondern auch das ausflippende Publikum gerollt. Denn das Schauspieler-Ensemble, das nur durch den artistischen Muskelmann Cale Stanojevic im Rocky-Goldhöschen verstärkt werden musste, geht so souverän mit den Songs (punktgenaue musikalische Leitung: Bettina Ostermeier) und dem unverzichtbaren Revue-Touch (Choreographie: Marvin A. Smith) um, dass man sich aus diesem Guthaben eine Verzinsung für differenzierte Personenregie samt ein paar neu zu entdeckenden Hintergründigkeiten wünscht. Christian Taubenheim als diabolischer Riff Raff nutzt sie am besten mit konsequent blitzendem Vernichtungsblick, Anna Keil und Philipp Weigand als naives Pärchen durchstoßen die Glamour-Frischhaltefolie auch, Josephine Köhler und die grade noch als “Fair Lady” im Opernhaus nebenan absahnende Henriette Schmidt strampeln vergnügt im Leerlauf. Marco Steeger in der Front-Partie des Frank´n´Furter wirft sich gekonnt auf alle Song- und Tanz-Kapriolen – aber die Magie des Monsters hat er nicht und kriegt er nicht. Braucht er vielleicht auch nicht, denn sein Kernsatz, der die komplette Philosophie dieser Inszenierung spiegelt, fand im so schon lange nicht mehr erlebten Premierenjubel uneingeschränkte Bestätigung: “Es ist kein Verbrechen, sich der Lust hinzugeben”.