Foto: Philipp Sommer in seinem Stück „Der Fall D'ARC" © Matthias Stutte
Text:Andreas Falentin, am 4. Dezember 2021
Dass Theater versucht, sein Publikum durch bloßes Erzählen einer Geschichte zu fesseln, ist selten geworden. Dass die schlichte große Erzählung gelingt, ist noch seltener. Der Schauspieler Philipp Sommer und die Regisseurin Maja Delinic haben diese Herausforderung jetzt strahlend bewältigt. Ihr Gegenstand ist die Biographie der Jeanne d’Arc, der von der Historie sogenannten Jungfrau von Orléans.
Große Erzählung im kleinen Theater
Die große Erzählung gelingt im kleinen Studio des Mönchengladbacher Theaters. Ihr Gegenstand beschäftigt Philipp Sommer schon lange Zeit, wie er in einem produktionsbegleitenden Gespräch erklärt. Schon an der Schauspielschule widmete er Jeanne d’Arc seine Abschlussarbeit. Seit 2018 arbeitet er an dem jetzt zur Premiere gebrachten Solo, dem man anmerkt, dass es – vermutlich sowohl durch die Zusammenarbeit mit Maja Delinic als auch durch die durch Lockdown-Verschiebungen entstandene lange Produktionszeit – etliche Metamorphosen hinter sich hat.
Auch darauf mag die außergewöhnlich lockere und konzentrierte Präsentationsform zurückzuführen sein. Sommer erzählt nicht plan, sondern spielt intelligent und nie aufgesetzt mit Zeit- und Spielebenen, lässt mal Jeanne, mal Philipp erzählen, deutet Rollenspiel an, steigt auch mal hinein. Durch den rationellen und phantasievollen Einsatz etlicher Theatermittel bekommt die Geschichte große Sinnlichkeit. Die große Schlacht bei Orléans, das Zusammenspiel durch Glanz und Entsetzen wird Bild durch etliche zum stummen Schrei verzierte, stilisierte Gesichtsscheiben, die Sommer auf die Bühne schleudert und durch seine Begleitung auf der E-Gitarre. Unerhörte Begebenheiten, an denen Jeanne d‘Arcs Biographie bekanntlich reich ist, werden am ehesten mit klassischem Theaterspiel gestaltet. Die Gerichtsverhandlung wegen Verweigerung der ausgehandelten Ehe ist ein Dialog vor dem Mikro. Der Erlaubnis eines Stadthauptmanns zum Aufbruch Richtung Dauphin ist das Ergebnis einer Kaskade von Wiederholungen. Die zweite Erlaubnis, die des Dauphins, um in den Krieg zu ziehen, wird filmisch dargestellt (Video: Peter Issig). Dauphin, Bischof, Ratgeber, alle höchst originell maskiert von Philipp Sommer, agieren stumm auf der Leinwand. Die davor stehende Jeanne spricht alle Texte.
Virtuoses Wechselspiel zwischen einst und jetzt
In dieser Sequenz beeindruckt, neben nahezu perfektem Timing, das bewusste, leichtfüßige Wechselspiel zwischen einst und jetzt, virtuos gespiegelt in den Kostümdesigns von Ria Papadopoulou. Hier wird das Mittelalter mit popkulturellen Phantasien auf die Gegenwart projiziert – und umgekehrt. Und die fast rührend anachronistische Ausstattung der Bühne mit Tüchern in Farben der Trikolore, ebenfalls von Papadopulou, passt ganz hervorragend dazu.
80 Minuten sieht man gespannt zu, lauscht man fasziniert, erfreut sich an der Empathie, die Philipp Sommer seiner Figur, dem Theater und uns entgegenbringt. Und dieser Schauspieler kann sprechen, artikuliert bemerkenswert klar, mit etlichen Nuancen und Färbungen, dynamischen wie stillen Steigerungen. Dazu erscheint der spielende Körper fast wie ein auf sich selbst spielendes Instrument. Und literarische Vorbilder, etwa Schiller oder Shaw, werden in keinem Moment benötigt, kommen nicht vor. Wenn es Inspirationsquellen gibt, mögen sie in der Filmgeschichte zu finden sein, etwa bei Luc Besson.
Eine langjährige Beschäftigung mit und Faszination für einen in vieler Hinsicht ungewöhnlichen Stoff hat stimmig, vor allem lebendig Gestalt auf der Bühne gewonnen. Das darf öfter geschehen.