Allerlei Schnipsel und Videobotschaften konnte der Interessierte einem Zeitplan folgend auf der Homepage des Theaters ansehen. Der Zwang, pünktlich zu sein oder etwas zu verpassen, schaffte einen angenehmen Druck, der die Aufführungen aufwertete gegenüber den üblichen Click-und-weg-Youtube-Clips. Dass er auch die Künstler und Künstlerinnen überforderte – geschenkt. Natürlich lief nicht alles glatt, wurde improvisiert und gescheitert. Damit geben die Streaming-Versuche auch gleich zu denken auf, was Theater im Netz eigentlich kann und soll.
„Ich bin gut isoliert“ (Britta Tränkler, Li Kemme, Robin Schüler): Drei Konzeptionsfragmente sollen zeigen, was nicht gezeigt werden kann. Es wird vorgetragen, dass Wasser und Emotionen was miteinander zu tun haben, eine Blitz-und-Donner-Situation im Gebirge und die Angstschockstarre darin geschildert, Eiswürfel gekaut und zehn Minuten Atem nachahmende Musik gespielt. Während Meeresrauschen und Odemholen stocken, der Rechner den Stream buffert, sieht der Rezensent die Angabe: 104 Zuschauer. Er ist nicht allein; immerhin. Später pendelt sich das Publikum dieses Videos bei 85 ein, hört zum Schluss Zitate über die Einsamkeit. Ist das jetzt mehr, als einen Film anschauen?
Neben dem Klappmaulmonster gibt es nur einen weiteren tatsächlichen Figurentheaterakt. Jule Lotte Bröcker und Isabel Schmier („It’s your choice :)“) spielen mit einer Fingerpuppe – ein flaches Papiergesicht auf einen OP-Handschuh gesteckt – Corona-Verhaltensmaßregeln nach. Das sieht sich ganz lustig an, der Figur durch ständiges Abreißen einer Gesichtsschicht eine neue Mimik zu geben, ist ein hübsche Idee. Das Video wurde vorproduziert, weil die beiden auf dem Land wohnen und dort kein Breitbandnetz zur Verfügung steht. Auch das muss man also mitbedenken: Nicht überall lässt es sich streamen und gucken.
Eine Ungleichzeitigkeit hat den interessantesten Effekt. Während Franziska Schrörs noch an ihrem „Refugis“ werkelt, schaltet sich Britta Tränklers Badewannennummer schon dazwischen. Man sieht eine orange illuminierte Waschmaschinentrommel von innen, zu der Elektromucke mit elektronischem Bellen und Quaken läuft. Es ist aus dem Off in zwei Stimmen etwas von technischen Problemen zu hören. Und als man noch über die alte, nur ins Digitale gewandelte Theaterfrage grübelt, ob das schon der Stream, also echt ist, oder nur als ob, rauscht plötzlich ein Panel drunter Badewasser in eine Wanne. Neben der Guckkastentrommel kann man nun einem sich füllenden Trog folgen. Dann wird ein Dachboden oder Keller ausgeleuchtet, steigen zwei nackte Beine in die Wanne.
Die Frage nach dem Sinn beantwortet sich auch in der abschließenden Blick-Installation nur indirekt. Carolina Arandia, Laura Brechmann, Maria Huber und Rosa Wallbrecher laden zu einer Videokonferenz. Nach einer – natürlich – längeren technischen Panne hantieren sie mit Gegenständen wie Spiegeln und Lämpchen vor der Kamera, schaffen einige visuell nette Effekte mit Licht und Reflexion, bevor sie über Objekte sprechen, die sie hassen. Das monologisierende Vierergespräch – leider auf verkümmertem Pidgin-Englisch der Kunstwelt geführt – rauscht schließlich so dahin, wichtig und interessant werden die Blicke der anderen. Man kann den anderen 34 zusehenden Teilnehmenden beim Zusehen zusehen. Man sieht, wie sie sich amüsieren oder zweifelnd schauen, sich kratzen, die Augen reiben, lächeln, auf dem Stuhl wippen, auf dem Bett fläzen. Hier tut sich eine Spur Theatrales auf, rührt in diesem Moment „Expeditionen“ am Kern des Theaters.
Denn Theater ist Gemeinschaft und ohne Gemeinschaft nichts. Dafür kann der rührige Versuch des Westflügels nichts, die Künstler wenigstens digital noch zu Wort kommen zu lassen, und auch ihre Stream-Versuche sind dafür nicht verantwortlich. Zumal sie als Künstler für sich auf diese Weise noch einmal eine Gemeinschaft geschaffen haben. Aber um wirklich Theater als Theater zu zeigen und zu erleben, reicht Filmen nicht aus. Es muss ein Abklatsch bleiben, auch beim Einsatz der besten Technik. Es braucht unbedingt die Mithilfe des Publikums, wie man spätestens dank Jacques Rancières Text „Der emanzipierte Zuschauer“ weiß. Die theatrale Situation entsteht erst durch das Zutun des Publikums – und dessen Anwesenheit ist dabei unabdingbar. Auf vermittelte – sei es durch Video oder Rezension – Weise mag man eine Ahnung des Geschehens erhalten, erfährt aber kein Theater. So ist die bündige These Rancières zutreffend: „Es gibt kein Theater ohne Zuschauer.“