Foto: „Effect”am Staatstheater Mainz - die Choreographie bildet den Ausgangspunkt für das interdisziplinäre Projekt „Between Us”, das Tanz, bildende Kunst und Wissenschaft zusammenbringt © Andreas Etter
Text:Melanie Suchy, am 15. März 2019
Wer das Tanzstück „Effect“ von Taneli Törmä sieht, ist vorher nicht durch ein Theaterfoyer spaziert, sondern durch Museumsräume. Das hat Effekt. Mehrere. Im Grunde geht man den Weg, den das Gemeinschaftsprojekt „Between Us“ beschritten hat, in umgekehrter Richtung. Dessen Anfangsimpuls war die Choreographie des Tanzquintetts, das im November 2018 fertig war; danach erst gestalteten sechs ausgesuchte Künstler diese Räume im Kunstmuseum Mainz, inspiriert von „Effect“ und seiner aufwändigen Dokumentation und digitalen Notation.
Im ersten Saal leuchten Farben, Rot-Töne. Teppichbahnen. Neben- und teilweise übereinander erstrecken sie sich, ausgerollt, aber nicht komplett, wirken wie gemalt mit Riesenpinseln: der Boden, das Horizontale, als abgelegte Wand. Darauf verteilt glucken sechzehn kleine schwarze Lautsprecherboxen mit ringelnden Kabeln und tappenden Geräuschen. Der Weg mündet nach einer weiteren, tatsächlich vertikalen Installation einer Fließ-Täuschung und einem Saal, der mit großen Wörtern und Sätzen verstellt ist, so dass man Slalom gehen muss, zudem begleitet von einem unbestimmt heimeligen Geruch, der weder zu Auslegewahre noch Buchstabenholz gehört, schließlich in den Bühnenraum. Die Bestuhlung umrandet ein weißes Quadrat am Boden, das Versprechen eines flüchtigen Geschehens.
Auftritt: die Tänzer. Einer, noch einer, mehrere. Törmä stellt sie als Rastlose aus. Sie ziehen Wanderschuhe an. Das führt, Effekt, zum besonderen Bodenkontakt, nicht schwer, aber bestimmt, wie Gedanken. Darüber sind die fünf leicht, wirken im Gehen, als schwebten sie. Sie gehen und gehen. Immer im Kreis. Die Augen vor sich in eine Ferne gerichtet, markieren sie einen unsichtbaren runden Horizont. Geradeausgehen heißt Wiederkommen. Und im Voranschreiten entsteht Leere im Rücken.
Die Ruhe und Stetigkeit ihres Kreisens macht die Zuschauer fast zu Teilnehmern. Effekt: Hypnose. Indem die Tänzer Spiralen gehen, hin zur Mitte und hinaus, ändern sich die Abstände. Jeder Gleichtakt, jedes Nebeneinandergehen, jede Reihe, jeder Klumpen löst sich bald wieder auf. Entsteht und zerfließt. Führt zu nichts. Die Mitte bleibt frei. Doch verändert sich mit der Zeit die Regel, nach der die Tänzer gehen. Das Tempo zieht an, sie rennen. Der Sohlentakt wird zum Trochäus, denn der innere Fuß tritt schwerer auf. Tamm-ta tamm-ta. Mal alle im Chor, mal klappert das Gebilde auseinander. Der Sounddesigner Søren Lyngsø Knudsen übertönt das nicht mit seinen dezenten elektronischen klirrenden und blubbernden Klängen. Der Tänzeratem wird hörbarer. Die Köpfe sind nun röter, die Augen machen Kontakt: eer Beginn, etwas gemeinsam zu tun. Erst nur Armeheben, Anhalten, ein verzögerter großer Schritt, dann Umarmungen. Ganz kurz, in der Mitte, wie eine Vereinbarung für alles, was noch kommt.
Nie gibt die Choreographie diesen Kreis auf, den sich Taneli Törmä als Grundidee gesetzt hatte, als er erfuhr, dass er für einen Nicht-Bühnenraum und für eine Motion-Capture-Aufzeichnung mit fünf Kameras zu planen hat. Die Tänzer gehen rückwärts oder treiben seitwärts im Pulk, die Augen in eine Ecke, in die andere Ecke fixiert, sie lösen die Einheit ihrer Körperrichtungen auf und verdrehen sich beim Gehen, beim Sinken, hin und her, als sei ein Mechanismus gestört oder ein Hirn kaputt. Sie fallen hin. Stürzen immer wieder. Einer wird gerollt, um seine Längsachse; gegen Ende, nach etlichen weiteren Lauf-, Schwarm-, Drängel- und Paartanzandeutungsvariationen und scheinbarem Chaos rollen alle selber, über die Schultern, also um die Querachse, und erinnern an die rollenden Kreaturen von M.C. Escher, dem Zeichner mit den unendlichen Treppen.
In „Effect“ sieht man, gerade wegen seiner einfachen und durchsichtigen Gestaltung, ein ständiges Werden. „Wandern“. Das Aufbauen oder Erreichen von Ordnung. Und vorbei! Vielleicht hätte dieses Auflösen oder Verlassen, Abbiegen, Aufstehen, Umkehren von Etwas ein bisschen mehr choreographische Aufmerksamkeit verdient als nur die Abfolge von stets Neuem oder Anderem. Die Tänzer Bojana Mitrović, Amber Pansters, Milena Wiese, Zachary Chant und Finn Lakeberg, in all ihrer Unterschiedlichkeit, tragen das Stück auf angemessen undramatische Weise. Dennoch wirken manche Momente eben als „Effekte“, wie angetippte oder aufgelesene Geschichten darüber, wie Menschen Getriebene sind, Rädchen im Getriebe, Irritierte, wie sie wegrennen oder hinrennen, einander übersehen oder wahrnehmen, helfen, mögen, verlassen.
„Effect“ hinterlässt die leeren Schuhe auf der Bühne, wie zur Aufforderung, doch mal in die Mokassins der Anderen zu treten, wie ein Sprichwort sagt. Empathie. Es lohnt sich, auch als Stück übers Tanzen. Der Finne Törmä hatte beim Dreierabend „HOM“ in der Mainzer Spielzeit 2015/16 ein lebendiges Duett beigesteuert, so nahm also Tanzdirektor Honne Dohrmann hier einen Faden auf. Das von der Kulturstiftung des Bundes mitfinanzierte Kooperationsprojekt „Between Us“ mit der Kunsthalle und dem Fachbereich Gestaltung der Hochschule Mainz, der die von William Forsythe 2010 initiierte „Motion Bank“ fortführt, ist ein großer Wurf, aber ohne Spektakel. Man muss es sich erwandern, in Gedanken, Fantasien, mit den Sinnen. Als rolle man Teppichbahnen der Künstlerin Tamara Grcic weiter aus. Oder erkenne das blinkende Geflatter von Žilvinas Kempinas‘ Installation als hängende VHS-Bänder. Oder den unbenennbaren Duft als Kreation von Sissel Tolaas. Und die gesägten und aufgestellten Sätze von Tim Etchells als Verbindung vom Tanz zum Leben. Dazwischen, in between: „Look directly into someone’s eyes“. „Stand still while others stumble.“
Weitere Aufführungen am: 29.3.,1.-3.4.,12.4., 26.4., 7.5.,15.5., 16./17.5.,16.6.