Foto: Szene mit Max Thommes, Michael Pempelforth, Felix Axel Preißler, Florian Steffens (vorne, von hinten) © Rolf Arnold
Text:Ute Grundmann, am 23. November 2015
Die Leiche, ein geborstener Puppentorso, baumelt in luftiger Höhe. Eine zweite taucht aus dem Moor auf, auf dem man ein glitzerndes Einkaufscenter errichtet hat. Der Bürgermeister „acker rudi“ (Michael Pempelforth) weiß vor lauter Hektik gar nicht, wie er die Leichen am schnellstens verschwinden lassen soll, ist doch die feierliche Eröffnung und damit sein Ruhm als Chef der Gemeinde in Gefahr. Doch was wie ein Krimi klingt, ist es nur zum Teil, denn Rudi und seine Mitbürger philosophieren auch über Ursehnsüchte und -ängste: Die Liebe, die so schwer zu finden ist, den Tod, der noch einsamer macht. Der österreichische Autor Ferdinand Schmalz verbuddelt in seinem neuen Stück „der herzerlfresser“ die steirische Legende vom Jungen Mann, der glaubt unsichtbar zu werden, wenn er die Herzen von sechs Jungfrauen verspeist hat, in einer Sumpflandschaft, die man in einen Gewerbepark verwandelt hat.
Der ist in Jana Wassongs Bühnenbild in der kleinen Spielstätte „Diskothek“ eine surreale Landschaft: Ein schwarzweiß gezackter Boden, der zu flimmern scheint, darauf ein Wandstück mit drei Fenstern. Bevölkert wird sie von Fellmenschen mit hellen Zotteln, blanken Hintern und bloßen Füßen (Kostüme Josa David Marx). In und mit dieser Szenerie inszeniert Gordon Kämmerer die Uraufführung des Auftragswerkes des Schauspiels Leipzig, als spannenden Parforceritt in 90 Minuten zwischen Jux und Lebens-Nachdenken. Teile des Textes kommen aus dem Off, Musik reibt die Handlung voran, die zwischen Verfremdung, Überdrehtheit und Ernst changiert.
Die Akteure glauben das Moor noch zu hören unterm dem Asphalt, das schicke Konsumtempel hat schon Risse, bevor er eröffnet ist. In dieser brüchigen Welt denken die Figuren aber auch über das Leben und die Liebe nach. „Man will doch nur, dass einen der andere will, so wie ich das will, warum will er das denn nicht“, fragt sich da „fußpflege irene“ (Max Thommes), die den Bürgermeister anhimmelt und ihm eine knochenkrachende Fußpflege verpasst. Diesen Menschen ist das Urvertrauen abhanden gekommen, sie wollen einen Ort finden in der Ungewißheit – und suchen sie im anderen, fremden Menschen. Ferdinand Schmalz, für sein Stück „am beispiel der butter“ mit dem Retzhofer Dramapreis ausgezeichnet und mit der Leipziger Inszenierung zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen, stattet seine Figuren mal mit schnurgeraden Sätzen aus, dann aber auch mit poetischen, verschlungenen Wortpfaden.
Und Regisseur Gordon Kämmerer hält sich, wie schon in seiner Leipziger Inszenierung „Das Tierreich“ von Nolte Decar, auf dem schmalen Grat zwischen Irrsinn und Methode. „fauna florentine“ (Runa Pernoda Schaefer) wird auf einem Phantasietier reingerollt, ein Bauernmädel-Assistent reicht die Kettensäge, ein blaues Laserschwert ist im Einsatz. Und aus Nebel und einer Bodenklappe kriecht der Herzerlfresser Herbert (Felix Axel Preißler), erzählt den Mythos und ist es doch selbst. Doch in all dem Trubel bleiben die Gedanken und Ängste präsent, die Verwunderung, dass aus dem Loch, in das wir das Essen stopfen, auch die Sprache kommt. Dass man, egal wie, doch nicht allein ist in der Welt. Und da verträgt die rasante wie nachdenkliche Inszenierung auch den Schlußkalauer: Zwei Paare, die sich irgendwie gefunden haben, auf Zeit, wahrscheinlich, wollen essen gehen – aber bitte was Herzhaftes.