Foto: Insa Jebens, Hannah Jaitner, Justin Hibbeler und Nicolai Gonther in "Hyperion" © Tobias Metz
Text:Wilhelm Triebold, am 3. Oktober 2020
Auch die Feierlichkeiten zum 250. Geburtstag Friedrich Hölderlins hat die Pandemie gehörig durcheinandergerüttelt. Der Dichter, dessen zweite Lebenshälfte im Tübinger Turm mit Neckarblick als Inbegriff des tragischen Eremitendaseins gelten darf, wäre unter vielem anderen vor Ort nicht nur mit einer Hölderlin-Oper („Der Thurm“, ein Uraufführungswerk von Markus Höring) und einem opulenten Hölderlin-Sommertheater der Freilichtspezialisten vom Melchinger Lindenhoftheater gebührend geehrt worden. Und nun: Alles abgeblasen beziehungsweise verschoben. „Weh mir, wo nehm‘ ich, wenn / es Winter ist, die Blumen?“, könnte man mit dem Dichter klagen.
Doch es gibt da noch den „Hyperion“ am Tübinger Landestheater. Regisseurin Carina Riedl, die sich am LTT mit Kafkas „Verwandlung“ und Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ bereits als kundige In-Szene-Setzerin von Erzählliteratur erwiesen hat, destilliert aus Hölderlins einzigem (Brief-)Roman eine insgesamt düster dräuende und aufs Gemüt drückende Theaterfassung über einen an sich und der Welt Zweifelnden, letztlich auch Scheiternden.
Dazu muss sich das spärlich zugelassene Publikum erst einmal seines Schuhwerks entledigen und dann auf ausgelegter Teppichware die Bühneninstallation von Pia Greven erwandern. Hölderlins dunkeltrunkener Text ist als grandioser Monomanolog eigentlich denkbar ungeeignet, um bühnen- und rollengerecht zerlegt zu werden. Großschauspieler wie Heinz Bennent oder Jens Harzer liefen mit dem „Hyperion“ im Gepäck zu toller Solo-Form auf – aber taugt solch eine Innerlichkeitsschau nun auch fürs Sprechquartett?
Im LTT wird die Vereinzelung schon dadurch ersichtlich, dass die vier Ensemblemitglieder Hannah Jaitner, Insa Jebens, Nicolai Gonther und Justin Hibbeler zuerst einmal jede(r) für sich in transparente Pavillons verbannt sind. Von dort aus tragen sie ihre Teile zur Sprachpartitur bei, Wortfetzen oder auch ganze Passagen im getragenen Wechselspiel. Darüber hinaus treten sie aber auch nach und nach in das von Kassettenrekordern umkränzte Rund, um auf einer angekurbelten Drehscheibe den armen Hyperion (und mehr noch seine Projektionen) in verschiedenen Formen und Lebensabschnitten darzustellen. Als schwärmerischen Jüngling ebenso wie als desillusioniert Liebenden, als Idealisten oder schließlich auch als still Resignierenden.
Das alles wirkt zwar leicht überinszeniert und übermotiviert, samt verkünstelt-weihevollen Bewegungsübungen mit Anleihen bei Tai Chi und Gebärdensprache. Hannah Jaintner darf von der rotierenden Bühne mitunter ein peitschendes „Ha!“ in den abgedunkelten Raum schleudern und schreckt so die Zuhörer beim Nachlauschen von Hölderlin Wortmusik auf. Und doch: Hölderlins epischer Klagegesang, bei dem die berühmte Deutschen-Schelte nicht fehlen darf („Handwerker siehst du, aber keine Menschen“), zieht wohl jeden über die eindreiviertel Stunden Spieldauer hinweg in den Bann.
Fazit: eine hochambitionierte und letztlich doch mehr hörens- als sehenswerte Inszenierung, der man allerdings auch weiterhin konzentrierte Zuschauer wünschen mag. Im Schlussbild erinnert sie wiederum an die Corona-Misere, die das derzeit bedauerlicherweise erschwert: Die einsamen Vier auf der Bühne, jeweils eingeschlossen in Zellophan-Hüllen oder auch -Höllen. Isolation und Abstand wahren – auch das steckt nun reichlich in diesem düster projizierten Tübinger „Hyperion“.