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Einfach den Tod nicht glauben

Georg Friedrich Haas: Thomas

Theater:Schwetzinger Festspiele, Premiere:24.05.2013 (UA)Regie:Elisatbeth GabrielMusikalische Leitung:Michel Galante

Im Schwetzinger Rokokotheater beginnt es diesmal schon vor dem Anfang. Mit dem Ende. Von Matthias. Er liegt in einem Krankenhausbett, ein bisschen Apparate-Medizin drum herum. Man hört schweres Atmen auf das Sterben hin. Ein Pfleger ist da, sein Freund Thomas kommt hinzu. Dass es ein schwules Paar ist, spielt keine Rolle. Nicht mal für die offensichtlich katholischen Schwestern, die später den Toten waschen werden. Matthias stirbt. Für das Ärzteteam um Dr. Dürer und seinen Assistenten Dominik ist es der Abschluss einer ordnungsgemäß zu protokollierenden Krankengeschichte. Für die eifrige Frau Fink vom Bestattungsinstitut ein geschäftlicher Vorgang. Und für Thomas die persönliche Katastrophe, die der Tod eines geliebten Menschen nun mal ist.

Was wir sehen und hören, ist der Versuch eines Menschen, Sprachlosigkeit in Worte zu fassen, dem der Trost mit einem Jenseits verschlossen bleibt. Aus dem Takt kommt das Ganze, als Frau Finks Versuch, ihren Kunden zu trösten, zu handfest gerät und sie zudringlich wird. Nachdem Thomas sie rausgeschmissen hat, beginnt plötzlich der Tote mit ihm zu reden. Beim gemeinsamen Schlürfen einer Suppe und dem Schwelgen der beiden in Erinnerungen werden wir aus diesem Opernkrankenzimmer wieder entlassen. Es ist ein Raum ohne viel Firlefanz und mit hoher Wiedererkennbarkeit, der sich zwischendrin hinter der Jalousie in einen langen Krankenhauskorridor verlängert.

Diese dritte Haas-Oper „Thomas“ hinterlässt eine seltsame Wirkung. Sie verstört (oder versucht es zumindest), weil sie die Zuschauer mit einem so unausweichlichen wie verdrängten Teil des eigenen Lebens konfrontiert. Mit dem eigenen Ende wie dem von Matthias. Oder mit dem Verlust eines Anderen wie bei Thomas. Dabei wirkt es auf eine fast obszöne Weise indiskret, wie nah wie wir dem sterbenden Matthias und seinem Lebenspartner Thomas kommen. Die Form der von Haas komponierten Sprachlosigkeit jedoch behauptet eine höhere Ebene des Ein- und Mitfühlens, die sie ebenso wenig einlöst wie der banale Text des Tiroler Dramatikers Händl Klaus Der Text redet sich aus der Sprachlosigkeit angesichts des Sterbens und des Todes allemal mit dem Naheliegenden heraus. Aber indem Floskeln, die sich eingebürgert haben und in der konkreten Situation durchaus hilfreich sind, in eine Libretto-Form gebracht werden und als Ping-Pong Monolog mit verteilten Rollen gleichsam stotternd daherkommen, werden sie nicht automatisch zu Opernliteratur.

Die Musik ist ein von Saiteninstrumenten bestimmter, durch eine eigenartige Melange aus Cembalo, Harfe, Akkordeon, Zither, Mandoline und Gitarre mit etwas Schlagwerk abgerundeter Sound, der vibrierend säuselt wie die von einem leichten Wind gekräuselte Oberfläche eines Sees. Und dessen liedselige Zitherklänge der Erinnerung auch schon mal am Kitsch entlang schrammeln. Die Stimmen schweben mit ausdauerndem, oft kurzatmigem Parlando wie Frühnebel drüber und behalten allemal die Oberhand. In seiner ziemlich diesseitigen „Das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes“-These (a la Salome) bleibt das Ganze aber auch musikalisch nur eine Art Anti-Tristan Behauptung. Zur neuen Grenzerfahrung fehlen diesem neuen Stück das Format und der Tiefgang. Dabei hat die amerikanische Kultserie „Sex Feet Under – Gestorben wird immer“ bewiesen, dass der Tod und das Sterben sogar als Serienthema verstörend und zugleich ergiebig sein können. Immerhin: Das Duo Georg Friedrich Haas und Händl Klaus scheitert am eigenen Maßstab. Vor zwei Jahren hatten beide in Schwetzingen mit ihrem Opernthriller „Bluthaus“ die Latte selbst ziemlich hoch gelegt.

Gegen die Umsetzung dieses mit dem Badischen Staatstheater Karlsruhe und dem Landestheater Innsbruck koproduzierten Festspielauftrages freilich ist Nichts zu sagen. Das gilt für die angemessene Personenregie von Elisabeth Gabriel, die Ausstattung von Vinzenz Gertler und die dezent ergänzenden Videos von Heta Multanen. Es gilt aber vor allem für den Haas-erprobten Otto Katzameier, der sich mit Leidenschaft und stimmlicher Virtuosität die Schmerzenspartie des Thomas anverwandelt. Und den Tod nicht glauben will. Im Wechselspiel mit dem Counter Kai Wessel blitzt denn auch, zumindest in der Kombination der Stimmen der auf, dass dessen Name, Michael, ebenfalls biblischen Ursprunges ist, und damit auf eine andere Dimension dieser Begebenheit verweisen könnte. Der zweite Counter Daniel Gloger kann nur einen Teil seiner allzu schrillen, fast kreischenden Stimme für die leichte Überzeichnung Dr. Dürers als geschäftigem Mediziner nutzen. Sarah Wegener wirft sich mit bewährter Vehemenz in die Rolle der Bestatterin und auf Thomas. Michel Galante vermag überzeugend die Instrumentalisten im Graben zu dem eigenartig leicht wogenden Orchesterklang zu animieren.