Foto: Szene aus Kathrin Rögglas neuem Stück „Nicht hier oder Die Kunst zurückzukehren“ am Staatstheater Kassel. © N. Klinger
Text:Jens Fischer, am 16. September 2011
„Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh’ ich wieder aus“, so resignativ intonierte Schubert (nach Gedichten von Wilhelm Müller) einst sein Leitmotiv: das Leben als Winterreise. Wir sind nicht da, wo wir eigentlich sein möchten. In der Fremde regiert der sehnsüchtige Blick heimwärts, daheim das unbändige Fernweh. Vielleicht sind wir nicht einmal der oder die, die wir eigentlich sein wollen. Oder, wieder Schubert, „Der Wanderer“: „Dort, wo du nicht bist, ist das Glück.“
Darum drehten sich die dramaturgischen Gespräche zur Spielplangestaltung der neuen Schauspielsaison des Staatstheaters Kassel. Vom Wanderermotiv über die Migrationsproblematik zum Thema Heimat, der Wunsch nach Verwurzelung. „Leonce und Lena“ versuchen in Kassel also wieder vergeblich zu flüchten, die „Drei Schwestern“ wollen immer noch nach Moskau, auch Jelineks „Winterreise“ steht auf dem Programm – wie die Uraufführung von Kathrin Rögglas neuem Werk. Dort fremdeln „Rückkehrergespenster“, „gestrauchelte Organisationsmenschen“ und „Sozialsöldner“, also Ärzte und Entwicklungshelfer, die gerade aus Somalia, Haiti, Ruanda, Afghanistan zurückkommen. Sie haben den ersten Schock der Wiederbegegnung mit unserem Lebensluxus verdaut und versuchen nun, sich über „funktionierende infrastruktur, die grünen wiesen“ zu freuen. Statt dessen ereilt sie Arbeitslosigkeit und der „schock des privaten“. Die Eltern sind pflegebedürftig, oder die mitgebrachte Partnerin „will anscheinend nicht mehr, jetzt wo sie mich als deutschen in deutschland erlebt hat“.
Röggla hat wieder viele Interviews geführt, den Objekten ihres Interesses die Sprachhülsen abgelauscht, verzichtet in der Wiedergabe aber auf den distanzierenden Konjunktiv ihrer bisherigen Stücke, also auf die Differenz zwischen offizieller Rhetorik und dem Bewusstsein der Lebenslügen, des Anpassungs- und Konkurrenzdrucks, der Panikattacken und Versagensängste. Die Sprachkörper sind auch als Menschenkörper skizziert. Röggla kommt ihnen nahe, wird psychologisch. Und dann rückt Regisseur Leopold von Verschuer alles wieder weg – in eine mäßig lustige Typenkomödie. Die „WHO-Länderdirektorin“ darf nicht mehr zeigen als eine abgeklärte Anne-Will-Attitüde. Direkt einer Tommy-Jaud-Comedy entsprungen ist die „mitausreisende Partnerin“/„Co-Idealistin“. Die süße Leidensmiene des frisch entweibten Agraringenieurs nährt Kuschelreflexe bei mütterlich veranlagten TV-Soap-Guckerinnen. Zyniker Knut könnte ein diabolischer Dazwischenfrager sein, muss aber unter der Bühnenbildlandkarte herumkrabbeln: „somalia, ach was, kongo, wahlbeobachtung. osze. nein, zentralasien. ach, wo bin ich jetzt?“ Als Moderatorin des zumindest das Stück verortenden Heimkehrer-Workshops agiert die übliche Sozialpädagoginnen-Karikatur.
Dass der Blick der Figuren durch ihre Auslandserfahrungen geschärft wurde, so dass sie Missstände deutlicher benennen, frische Perspektiven auf gesellschaftliche Probleme eröffnen, Mechanismen der Wohlstandsgesellschaft klar sezieren können, bewahrheitet sich nicht. Schlichter Spott über deutsche Provinz und Rückzugsspielereien ins Private sind zu hören. Der Blick auf das Land als ein fremdes wirkt nicht fremder, als es Daheimgebliebene erfahren. Die Regie folgt der Autorin, gibt ihr recht undramatisch verdichtetes Recherchekondensat ebenso wieder, verharrt als Live-O-Ton-Hörspiel in Zustandsbeschreibungen.
Gelungen aber das Finale – inszeniert als ein Chor aus Solostimmen. Sprachlich vermengen sich Realität und Erinnerungen, verschwimmen ins Rätselhafte, eine „gasförmige Landschaft“, verschwinden im aufkommenden Winternebel. Deutschland, eine Winterreise…