Foto: Szene aus Jelineks "Winterreise" in Regensburg © Christina Ibero
Text:Manfred Jahnke, am 10. Februar 2017
Vier Wanderer, zwei männlich, zwei weiblich, in langen schwarzen Kleidern und in klobigen Wanderstiefeln, stehen in einem verschneiten Wald und starren ins Publikum. Dann beginnen sie nach links abzumarschieren, sehr zielgerichtet. Mit diesem Video von Michael Lindner zu der Schubertmeldodie „Gute Nacht!“, von Satomi Nishi auf Band eingespielt, beginnt am Theater Regensburg „Winterreise“ von Elfriede Jelinek. Schon in dieser Eröffnung vereint die Inszenierung von Mia Constantine Schauspiel, Video, die die Schauplätze verdeutlichen, Hörspiel und ein musikalisches Arrangement, das mit den Schubert`schen Motiven spielt. Thies Mynther und Fee R. Kuerten verwandeln diese in Syntheziserklänge, die mal leise unaufdringlich die Szenen untermalen, mal laut szenische Zäsuren setzen. Szenenwechsel werden darüber hinaus mit einer hohen schwarzen Wand angedeutet, die schnell von einer Seite auf die andere geschoben werden kann und dann den Blick frei gibt auf den Bühnenraum (Michael Lindner), der von hohen paneelhaft strukturierten Wänden begrenzt wird. Ein hohes Podest mit abnehmbaren glänzenden Platten beherrscht die Szene. Wie in einem Labyrinth, durch transparente Wände geschaffen, können die Spieler unter diesem Podest, herum kriechen. Damit ist ein nachdrückliches Bild geschaffen für das bürgerliche Unterbewusstsein, dass den Redestrom der Autorin beherrscht.
Einen Jelinek-Text kann man nicht ohne Haltung machen. In ihrer 90-minütigen Spielfassung konzentriert die junge Regisseurin Mia Constantine das Stück auf die Frage, was die Zeit mit einem macht. Sie benutzt dabei als klare Strukturmomente die Motive aus Schuberts „Winterreise“, die zwar auch bei der Jelinek stehen, aber in der Wucht der Bewusstseinsprosa unterzugehen drohen. Darüber hinaus dürfte dieser Text der wohl bisher persönlichste der Autorin sein, aber Constantine gelingt es, diesen Bezug nicht zu unterschlagen, aber diesen aufzuheben in der Sichtbarmachung eines über das Subjektive hinaus gehendes (bürgerliches) Weltgefühl. Wenn die Spieler sich immer wieder direkt fragend an das Publikum wenden, wird dieser Zusammenhang deutlich.
Zusammen mit der Dramaturgin Stephanie Junge hat sich die Regisseurin entschieden, den Text auf fünf Spieler zu verteilen und den Rollen auch Namen zu geben. Ulrike Requadt spielt in der Frisur der Jelinek die namenlose „Autorin“ mit einer hohen Sprechkultur, die die gesamte Inszenierung auszeichnet. Sie ist sozusagen doppelt auf der Bühne, einmal als reflexive Philosophin, zum anderen als Dialogpartnerin. Verena Maria Bauer verkörpert mit erfrischend naiver Sympathie Natascha Kampusch, die ja einmal aus der Welt herausgefallen war und nun von einer Medienwelt manipuliert wird. Jacob Keller und Sebastian M. Winkler treten als Banker und später zusammen mit Bauer als Skifahrer in umwerfend komischen Rollen auf. Einen Höhepunkt bildet der Auftritt von Michael Heuberger als Vater, abgeschoben in die Waldeinsamkeit eines Heims, in der Alte über das Vergessen in der Demenz berichtet. Das macht Heuberger so anrührend wie wütend: das ist noch ein Funke, der sich wehrt, vergeblich.
Einerseits haben Mia Constantine und ihr Team – da sind noch die Kostüme von Monika Frenz zu nennen, in der die Schwarz-Weiß-Töne überwiegen – eine formal strenge Inszenierung geschaffen, in der alle Medien (Spiel, Video, Hörspiel, Musik, Raum, Farben) aufs Engste sich verbinden, andererseits prägen Humor, Tragik und große Gefühle diese Inszenierung. „Winterreise“ ist übrigens die allererste Jelinek-Inszenierung in Regensburg.