Foto: Musik im Labyrinth: Impression aus der Konzertinstallation "Bismarckstraße 35" an der Deutschen Oper Berlin. © Thomas M. Jauk
Text:Barbara Eckle, am 19. September 2012
„Keine Sauna hier“ versprechen Transparente im Innenhof des hinteren Gebäudeteils der Deutschen Oper, denn sie soll nach hundertjähriger Geschichte wegen Besuchermangels abgerissen werden und durch die „Bismarck Arkaden“, ein Erlebnis-Shoppingcenter mit Solarium-Park und gigantischen Food-Courts, ersetzt werden. Ein letztes Mal bietet sich die Gelegenheit einer Führung durchs Haus. An den vier renitenten Orchestermusikern, die es besetzt halten, möge man sich nicht stören. Eine Räumungsklage ist im Gang. So das Ausgangsszenario.
Jedem Besucher wird noch schnell eine Taschenlampe in die Hand gedrückt und die Nostalgiereise durch die Gedärme der Oper kann beginnen. Sie führt vom unterirdischen Möbelfundus hinauf zu den Umkleiden, wo Kuchenreste und Konfetti von einem rauschenden Abschiedsfest erzählen. Plötzlich Stromausfall. Im Stockdunkeln vernimmt man ein Knarren und Jaulen, aus der Ferne erklingt so etwas wie eine Antwort. Langsam erkennt das Auge wie eine Gestalt mit Geige durch den Raum geistert. Aus den Geräuschen werden Töne, aus den Tönen wird Bachs Doppelkonzert in d-Moll. Da geht das Licht an, die Musik ist aus und die Gestalt verschwunden.
In einem einer Rumpelkammer gleichenden Proberaum unter dem Dach spielen die vier Okkupanten in Barocker Tracht, gepuderter Perücke und Sonnenbrille Schuberts Quartett „Der Tod und das Mädchen“. Doch erwartungsgemäß geht das nicht lange gut. Schon bald werden sie von diabolischem Baulärm übertönt, der den ganzen langen Abstieg durchs Treppenhaus in bekanntere Gefilde begleitet. Aber kommt dieser ohrenbetäubende Maschinenlärm nicht auch von Streichinstrumenten? Oder spinne ich jetzt?
Spätestens als das versprochene 3. Streichquartett „Grido“ von Helmut Lachenmann im heimisch wirkenden Foyerbereich erklingt, wird der Sinn der von Alexander Charim inszenierten Konzertinstallation „Bismarckstraße 35“ klar. Von dieser Gehörschulung – oder besser: Wahrnehmungsdehnung – auf die Relativität und Spannbreite von Geräusch und Klang eingeschworen, wirkt Lachenmanns Musik im Kontrast vollkommen transparent, geradezu vertraut. Auch die Musiker haben sich ihrer Verkleidung entledigt und treten wieder in gewohnter schwarzer Konzertkleidung auf, als wäre nie etwas gewesen. Nur ein leichtes Schmunzeln huscht ihnen anfangs noch übers Gesicht, bevor sie mehr und mehr in der Intensität des breiten Klangspektrums versinken. Hören zu lernen in Lachenmanns Sinn der positiven Verunsicherung, ist die Idee des so witzig wie absurden Gangs durch das dunkle Haus. Akustische Geisterbahn. Prädikat: Pädagogisch wertvoll.