Foto: In der Wuppertaler Immanuelskirche inszenierte Johannes Blum "Maria Egiziaca", ein äußerst selten aufgeführtes musikalisches Mysterium von Ottorino Respighi. Das Foto zeigt Christian Sturm, Annika Boos und Dorothea Brandt sowie im Vordergrund das Sinfonieorchester
Wuppertal. © Uwe Stratmann
Text:Andreas Falentin, am 4. November 2013
Ottorino Respighis 1932 uraufgeführtes, in den letzten Jahren kaum je aufgeführtes „Mysterium in einem Akt“ basiert auf einer Heiligenlegende aus dem Mittelalter. Die Prostituierte Maria verführt einen Matrosen, um an eine Schiffspassage nach Jerusalem zu kommen. Sie möchte in der Grabeskirche beten, wird aber von einer unsichtbaren Kraft gehindert, die Kirche zu betreten. Die Schlussszene zeigt sie als alte Frau, die viele Jahre einsam in der Wüste gebüßt hat und nun mit sich im Reinen ist. Dramatisches Potenzial wächst dieser spröden Fabel durch Marias dreifache Konfrontation mit einem Pilger zu. Er warnt den Matrosen, verweist sie von der Kirche und segnet schließlich ihr Sterben.
Die Wuppertaler Bühnen bringen „Maria Egiziaca“ in der Oberbarmener Immanuelskirche heraus und zeigen die Aufführung in dieser Spielzeit in verschiedenen Kirchen im Stadtgebiet. Die Spielfläche befindet sich im Altarraum, unmittelbar hinter dem Orchester. Der Regie führende Chefdramaturg Johannes Blum zeigt Maria zu Beginn in Frack und Zylinder und weist ihr eine Art Spielleiterfunktion zu. Sie verteilt Kostümteile an ihre klar, aber sehr statuarisch geführten Mitspieler. Zur zweiten Szene kommt sie ohne Zylinder, zur dritten im bodenlangen weißen Kittel. Dorothea Brandt singt mit kühl loderndem Sopran und glasklaren, weichen Höhen. Sie schickt prägnante Blicke durch den Raum, aber ihr bekannt feuriges Spieltemperament, ihr körperlicher Ausdruck wirken seltsam gehemmt. Die Begegnungen mit dem Pilger schlagen keine theatralischen Funken. Auch Thomas Laske spielt extrem zurück genommen. Er setzt seinen schönen Oratorien-Bariton zunächst sehr kontrolliert ein, wird aber im Lauf der 75-minütigen Vorstellung freier und strahlt stimmlich das aus, was der Inszenierung fehlt. Im starken Schlussduett, einer Art „Ave Maria“ für zwei, wie ein Richard Strauss in guter Form es vielleicht nach einem beschwingten Mittelmeerurlaub geschrieben haben könnte, müssen die beiden Protagonisten wie im Konzert nahezu regungslos nebeneinander stehen.
Gegen diese reduzierte, statische Versuchsanordnung setzt der Regisseur einige in die Kirchen-Apsis projizierte Videos vom Medienprojekt Wuppertal (eine Art Jugend-Videoproduktionspool), die sich auf unterschiedlichen Ebenen mit dem Stoff befassen, aber kaum erkennbar mit dem Bühnengeschehen korrespondieren. Vieles deutet darauf hin, dass Johannes Blum mit intellektueller, auf Distanz bedachter Überformung zu verhindern sucht, dass aus dem Läuterungs- ein Überwältigungsdrama, aus der überraschend sinnlichen Heiligenlegende ein kitschiges Geschichtchen wird. Dabei opfert er – leider – sehenden Auges viel theatrale Vitalität.
Tatsächlich geizt Respighis Musik nicht mit sinnlichen Reizen, kultiviert den seidigen Oberflächenglanz wie die plötzliche Zuspitzung und die süffig-rauschhafte, vielfarbige Klangballung. Florian Frannek, dem Sinfonie-Orchester Wuppertal und dem klangmächtigen Opernchor gelingt es nach etwas unscharfem Beginn, die komplexen Klänge zu konturieren, die Strukturen dieser Musik zu befolgen und zu beherrschen und ihre Stringenz wie ihre Gefährdungen zu vermitteln. Dabei ist ihnen die eigentümlich wabernde, trockene Akustik der Immanuelskirche sowohl Hindernis als auch Hilfsmittel.